Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2005 / 52
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Anlass und Not­wen­dig­keit der Vorlage
3.Schwer­punkte der Regierungsvorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zur Regie­rungs­vor­lage unter Berück­sich­ti­gung der Vernehmlassung
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
7.Per­so­nelle und finan­zi­elle Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lage
1.Gesetz über das Statut der Euro­päi­schen Gesell­schaft (SE-Gesetz; SEG)
2.SE-Betei­li­gungs­ge­setz; SEBG
3.Gesetz über die Abän­de­rung des Per­sonen- und Gesell­schafts­rechts (PGR)
4.Gesetz über die Abän­de­rung des Bankengesetzes
5.Gesetz betref­fend die Abän­de­rung des Gesetzes über Invest­ment­un­ter­nehmen (IUG)
6.Gesetz über die Ände­rung des Versicherungsaufsichtsgesetzes
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Ausführungsgesetzes und eines Beteiligungsgesetzes zur Europäischen Gesellschaft und Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR)  sowie weiterer Gesetze
 
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Der Anlass für die Vorlage beziehungsweise deren Notwendigkeit ergibt sich aus der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Richtlinie 2001/86/EG des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer vom 8. Oktober 2001.
Die genannte Verordnung und die Richtlinie sind aufgrund des EWR-Abkommens in liechtensteinisches Recht zu integrieren beziehungsweise zu transformieren.
Die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft hat mit 8. Oktober 2004 ein neues Rechtsinstrument, nämlich die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea, SE) eingeführt. Dieses Rechtsinstrument bietet Unternehmen die Möglichkeit, auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts eine Europäische Gesellschaft zu gründen. Die Europäische Gesellschaft entspricht in ihrer Konzeption einer Aktiengesellschaft, sodass auch von der "Europäischen Aktiengesellschaft" gesprochen wird. Da die gegenständliche Verordnung keinen abschliessenden Regelungsbereich enthält, sondern an einigen Stellen auf das nationale Recht verweist, dieses aber auch zu Regelungen ermächtigt und verpflichtet, sind ein SE-Ausführungsgesetz sowie Anpassungen des nationalen Aktienrechts sowie diverser anderer Gesetze zur Integration der SE-Verordnung in das liechtensteinische Gesellschaftsrecht notwendig.
Die Richtlinie 2001/86//EG über die Beteiligung der Arbeitnehmer ergänzt die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) und bedarf der innerstaatlichen Umsetzung. Sie regelt sowohl die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter über Angelegenheiten der Europäischen Gesellschaft, ihrer Tochtergesellschaften oder ihrer Betriebe, als auch die Unternehmensmitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE. Da in Liechtenstein diesbezügliche Bestimmungen nicht nur weitgehend fehlen, sondern zudem auch in Bezug auf die SE spezielle Regelungen zu erlassen sind, ist ein Transformationsgesetz (SE-Beteiligungsgesetz) zu schaffen.
Die Vorlage sieht vor, die SE-Richtlinie nur insoweit, als es notwendig erscheint, umzusetzen und das für die Anwendung der unmittelbar gültigen SE-Verordnung notwendige Ausführungsgesetz zu schaffen sowie die erforderlichen Anpassungen
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im nationalen Gesellschaftsrecht vorzunehmen. Darüber hinaus werden die Transformation der SE-Richtlinie und die Integration der SE-Verordnung zum Anlass genommen, insbesondere diejenigen Bestimmungen im PGR abzuändern, die sich mit der Verlegung von Verbandspersonen vom Inland ins Ausland befassen, um sie an den durch die SE-Verordnung vorgegebenen und durch das nationale Ausführungsgesetz konkretisierten Standard anzupassen. Dadurch sollen eine Schlechterstellung von nationalen Verbandspersonen gegenüber der SE verhindert und entsprechende Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden.
Zuständiges Ressort
Ressort Justiz
Betroffene Amtsstellen und Behörden
Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt, Amt für Volkswirtschaft, Amt für Finanzdienstleistungen, Steuerverwaltung, Stabsstelle EWR, Landgericht, Finanzmarktaufsicht (FMA)
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Vaduz, 25. August 2005
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Ausführungsgesetzes und eines Beteiligungsgesetzes zur Europäischen Gesellschaft sowie eines Gesetzes zur Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR) sowie weiterer Gesetze zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Nach dem historischen Durchbruch im Europäischen Rat mit Ende des Jahres 2000 wurde am 8. Oktober 2001 sowohl die Verordnung (SE-Verordnung) über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) als auch die dazugehörige Richtlinie betreffend die Beteiligung der Arbeitnehmer (SE-Richtlinie) verabschiedet. Das "Flaggschiff" des europäischen Gesellschaftsrechts steht den Unternehmen und Konzernen seit dem 8. Oktober 2004 optional zu den nationalen Rechtsformen zur Verfügung. An diesem Tag trat die unmittelbar anwendbare SE-Verordnung in Kraft und sollte die SE-Richtlinie in das nationale Recht der Mitgliedstaaten transformiert sein. Dies gilt in gleicher Weise auch für die EFTA-Mitgliedstaaten des EWR, da der Gemeinsame Ausschuss im Juni 2002
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beschlossen hat, die SE-Verordnung und die SE-Richtlinie in den Rechtsbestand des EWR-Abkommens zu übernehmen.
Ausgehend von den Zielen des EG-Vertrages und des EWR-Abkommens liegt der Schaffung der Europäischen Gesellschaft das Ziel der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes sowie des EWR auch im Bereich der Rechtsformen zugrunde. Unternehmen und Konzerne, die europaweit agieren, sollen sich eines angemessenen rechtlich-institutionellen Rahmens bedienen können, um wirklich europäische Unternehmen herauszubilden sowie die nationalen Hoheits- und Ländergrenzen zu überwinden. Dadurch sollen diese auch mit amerikanischen und japanischen Unternehmen und Konzernen auf globaler Ebene konkurrieren und entsprechende Grössenvorteile erzielen können.
Die Europäische Gesellschaft wird auf der Grundlage der unmittelbar geltenden SE-Verordnung als Rechtsform supranational-europäischen Rechts in allen Mitgliedstaaten des EWR anerkannt. Unternehmen können somit erstmals uneingeschränkt von der im EG-Vertrag sowie im EWR-Abkommen garantierten Niederlassungsfreiheit - wie natürliche Personen auch - Gebrauch machen.
Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten der Gründung einer SE im Wege der grenzüberschreitenden Verschmelzung nationaler Aktiengesellschaften, der Errichtung einer Holding-SE durch nationale Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung, der Umwandlung nationaler Aktiengesellschaften in eine SE sowie der Errichtung gemeinsamer Tochtergesellschaften können sich pan-europäisch operierende Unternehmen und Konzerne zukünftig über Länder- und Hoheitsgrenzen hinweg nach prinzipiell einheitlichen Regeln auf Gemeinschafts- und Wirtschaftsraumebene neu strukturieren, reorganisieren und zusammenschliessen. Darüber hinaus können sie unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität ihren Satzungssitz grenzüberschreitend in andere Mitgliedstaaten verlegen.
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Die Unternehmen können ihrer jeweiligen Internationalisierungsstrategie somit auch durch eine angemessene statutarische Organisationsstruktur besser Rechnung tragen, weshalb sich Effizienzsteigerungen aufgrund verminderter Transaktions- und Organisationsformkosten europaweit realisieren lassen. Das gilt in besonderem Masse auch für global operierende Unternehmen und Konzerne aus Drittstaaten, die im EWR in klar strukturierter, rechtlich weitgehend einheitlicher Form auf Gemeinschafts- oder Wirtschaftsraumebene auftreten und agieren wollen.
An die Stelle der ersatzweise bislang erforderlichen, teilweise äusserst komplexen rechtlichen Strukturen, können Organisationsstrukturen treten, die wesentlich einfacher sind und den geänderten Rahmenbedingungen im EWR Rechnung tragen. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, europaweit durch eine einzige SE mit rechtlich unselbstständigen Niederlassungen in den anderen Mitgliedstaaten zu agieren. Dadurch können nicht nur Entscheidungswege verkürzt, sondern insbesondere auch die Kosten für zahlreiche Tochtergesellschaften und deren jeweilige Organisation, Verwaltung, Führung, Überwachung, Controlling, Berichterstattung, Rechnungslegung, Prüfung, Publizität und General- oder Gesellschafterversammlung etc. eingespart oder zumindest erheblich reduziert werden.
Den Unternehmen steht durch die Rechtsform der SE weiters die Möglichkeit offen, sich unabhängig von den im nationalen Recht niedergelegten Regeln für ein ein- oder zweigliedriges System der Corporate Governance (darunter versteht man die Unternehmensführung und -kontrolle) zu entscheiden. Man unterscheidet zwischen dem Verwaltungsrats- beziehungsweise Board-Modell (eingliedrig) und dem Vorstand-Aufsichtsratsmodell (zweigliedrig). Vor dem Hintergrund der Diskussion in verschiedenen Mitgliedstaaten über die Vorteilhaftigkeit dieser Systeme, aber auch über die Grenzen der organisatorischen Freiheit bei der Ausgestaltung der Corporate Governance (beispielsweise von deutschen Aktiengesellschaften), erscheint diese unternehmensindividuelle Wahlfreiheit innerhalb des gesam-
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ten EWR als revolutionär, da ein Wettbewerb der Systeme in allen Mitgliedstaaten - von Ausnahmen abgesehen - erstmals tatsächlich grenzüberschreitend wie auch innerstaatlich möglich wird. Die Europäische Gesellschaft trägt damit auch dem Druck des US-amerikanischen Kapitalmarktes sowie allgemein der Amerikanisierung des internationalen Kapitalmarktumfeldes insoweit Rechnung, als sich europäische Unternehmen unabhängig von ihrem Sitzstaat nunmehr alternativ für ein Modell der Corporate Governance nach US-amerikanischem Muster entscheiden können.
Darüber hinaus wird durch die SE-Richtlinie sichergestellt, dass die Vertreter der Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe auf die Beschlussfassung innerhalb der SE insoweit Einfluss nehmen können, als die Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter zumindest im Grundsatz entsprechend den Bestimmungen der in nationales Recht zu transformierenden SE-Richtlinie eigenverantwortlich und damit unternehmensindividuell ausgehandelt werden kann (Verhandlungslösung). Dadurch lassen sich massgeschneiderte Strukturen zur Vertretung der Arbeitnehmer in den jeweils betroffenen Unternehmen vereinbaren. Sofern eine Einigung insoweit allerdings nicht erzielt werden kann, finden ersatzweise die in nationales Recht zu transformierenden Bestimmungen der SE-Richtlinie und ihres Anhangs Anwendung (Auffangregelung). Diese stellen zumindest ein Mindestmass an Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe entsprechend den Bestimmungen über Europäische Betriebsräte sicher. Ferner sehen sie für denjenigen Fall eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE vor, in dem in einer oder mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften bereits vor der Gründung der SE eine oder mehrere Formen der Mitbestimmung in Bezug auf einen bestimmten Schwellenwert sämtlicher Arbeitnehmer der SE bestanden hat (Vorher-Nachher-Prinzip). Dementsprechend sieht die SE-Richtlinie zwar einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen und insoweit zumindest eine einheitliche Grundstruktur für die
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Ausgestaltung der Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE vor. Dagegen konnten sich die verschiedenen Vertragsstaaten aufgrund der erheblichen Unterschiede in den nationalen Mitbestimmungssystemen und der Mitbestimmungstraditionen nicht auf ein einheitliches System der Arbeitnehmerbeteiligung einigen.
Die Europäische Gesellschaft verfügt zudem über einen rechtsformspezifischen Europäischen Corporate Goodwill (Firmenwert) und kann zur Herausbildung einer unternehmensindividuellen Europäischen Corporate Identity und Culture (Erscheinungsbild des Unternehmens) sowohl im Innenverhältnis als auch im Aussenverhältnis in besonderer Weise beitragen.
Ferner ermöglicht es die SE-Verordnung der Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft, ihren Sitz innerhalb des EWR sowohl grenzüberschreitend unter Wahrung ihrer Identität und Rechtspersönlichkeit zu verlegen als auch diesen bereits bei der Gründung einer SE frei zu bestimmen. Dadurch kann eine SE im Vergleich zu einer Aktiengesellschaft nationalen Rechts, die jenseits ihrer nationalen Rechtsordnung grundsätzlich keine Anerkennung geniesst, nicht nur von den binnenmarkt- und wirtschaftsraumspezifischen Freiheitsgraden, sondern insbesondere auch von den bestehenden Unterschieden in den nationalen Gesellschaftsrechtssystemen umfassend Gebrauch machen. Aufgrund der vielfachen Verweisungen der SE-Verordnung auf die nationalen Bestimmungen insbesondere des Sitzstaates der SE, kann sich die betreffende SE durch die Wahl ihres Sitzes gezielt für eine - zumindest ergänzend anwendbare - nationale Rechtsordnung entscheiden, die über bestimmte Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen verfügt.
Im Ergebnis wird den Unternehmen im Europäischen Binnenmarkt und im EWR durch die SE somit eine Rechtsform zur Verfügung gestellt, die zum Abbau psychologischer Schranken und Hemmnisse beiträgt und über die gleiche Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit sowie dieselben Möglichkeiten der Zusammen-
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führung von Produktionsfaktoren verfügt, wie Rechtsformen nationalen Rechts im jeweiligen nationalen Markt. Ferner führt die Einführung der SE europaweit zur Entstehung eines umfassenden Wettbewerbs zwischen verschiedenen Rechtsformen sowie Gesellschaftsrechtssystemen und damit auch Standorten.
Für sämtliche Mitgliedstaaten des EWR von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die umfassenden Verweisungen der SE-Verordnung auf die Vorschriften des nationalen Aktienrechts, insbesondere des Sitzstaates der SE, die teilweise harmonisiert, überwiegend aber autonom bestimmt werden können, sowie die zahlreichen Ermächtigungen und Verpflichtungen der SE-Verordnung, denen die Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen SE-Ausführungsgesetzen Rechnung tragen können und sollen. Dadurch besteht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in sehr umfassender Weise an diesem neuen Wettbewerb durch die rechtliche Ausgestaltung derjenigen SE aktiv mitwirken zu können, die ihren Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben.
Die Gesetzgeber der nationalen Ausführungsgesetze können diesen intraeuropäischen Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme über die derzeit bestehenden Unterschiede hinaus allerdings nur insoweit durch ein besonderes nationales Aktienrecht der SE rechtsformspezifisch beeinflussen, als sich die Verweisungen der SE-Verordnung nicht auf die Bestimmungen des jeweils geltenden Aktienrechts des jeweiligen Sitzstaates beziehen. Die nationalen Gesetzgeber können ihre insoweit selbst eingeschränkte Handlungsautonomie allerdings durch grundlegende Änderungen und Reformmassnahmen des nationalen Aktienrechts zurückgewinnen, sofern dies erforderlich erscheint. Dessen ungeachtet beziehen sich Änderungen und Reformmassnahmen des nationalen Aktienrechts zukünftig folglich sowohl auf Aktiengesellschaften nationalen als auch supranational-europäischen Rechts desselben Sitz-Mitgliedstaates. Insofern ermöglicht und fördert die Schaffung der SE nicht nur den Wettbewerb der SE verschiedener Mitgliedstaaten, sondern eröffnet zudem auch einen davon abgeleiteten Wettbewerb der Aktiengesell-
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schaften nationalen Rechts verschiedener Mitgliedstaaten (Standort- und Systemwettbewerb).
Wie bereits erwähnt ist die Europäische Gesellschaft nur in ihren Grundzügen in den 70 Artikeln der SE-Verordnung geregelt. Sie ist in allen Mitgliedstaaten des EWR seit dem 8. Oktober 2004 unmittelbar geltendes Recht. Der SE liegt folglich kein einheitliches europäisches Aktienrecht zugrunde. Vielmehr verweist die SE-Verordnung in sehr umfassender Weise auf die Bestimmungen des allgemeinen nationalen Aktienrechts, insbesondere des Sitzstaates der SE. Darüber hinaus beinhaltet die SE-Verordnung aber auch zahlreiche Ermächtigungen und Verpflichtungen an die jeweiligen Mitgliedstaaten, denen diese in einem individuellen SE-Ausführungsgesetz ebenso Rechnung tragen können und sollen, wie der Notwendigkeit, die SE-Verordnung in ihre jeweilige Rechtsordnung zu integrieren. Auf eine Europäische Gesellschaft sind - entsprechend einer Rechtsquellenpyramide aus Gemeinschaftsrecht, nationalem und individuellem Satzungsrecht - primär die Bestimmungen der SE-Verordnung und ergänzend, neben Richtlinien, auf welche die SE-Verordnung unmittelbar verweist und nationalem Recht, die nach der SE-Verordnung ausdrücklich zulässigen Satzungsbestimmungen der jeweiligen SE anzuwenden (Prinzip der Satzungsstrenge). Für die vielen von der SE-Verordnung nicht oder nur teilweise geregelten Bereiche sind darüber hinaus die Bestimmungen des Sitzstaates der SE zu beachten, die speziell für die Rechtsform der SE aufgrund von Verpflichtungen und Ermächtigungen in der SE-Verordnung von den Mitgliedstaaten erlassen wurden (SE-Ausführungsgesetz). Ergänzend sind - teilweise auch infolge von Verweisungen der SE-Verordnung - die Vorschriften von Bedeutung, die auf Aktiengesellschaften nationalen Rechts, insbesondere des Sitzstaates der SE, Anwendung finden und gegebenenfalls aufgrund von transformierten Gemeinschaftsrichtlinien durch die Mitgliedstaaten harmonisiert wurden (harmonisiertes versus autonomes nationales Aktienrecht). Abschliessend sind die Bestimmungen der Satzung der SE zu beachten, die nach dem nationalen
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Aktienrecht des Sitzstaates der SE dort aufgenommen werden dürfen (Prinzip der Satzungsstrenge versus Satzungsautonomie).
Die Frist zur Umsetzung der EG-Richtlinie, welche die Regelungen zur Anhörung, Unterrichtung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer beinhaltet (SE-Richtlinie) und die als solche ausschliesslich an die Mitgliedstaaten gerichtet ist, endete grundsätzlich ebenfalls am 8. Oktober 2004 (SE-Beteiligungsgesetz). Durch die Richtlinie soll sichergestellt werden, dass die Arbeitnehmervertreter auf die Beschlussfassung innerhalb der SE Einfluss nehmen können, wobei sowohl die bestehenden nationalen, teilweise harmonisierten sowie unternehmensindividuellen Informations-, Anhörungs- und Mitbestimmungsstandards als auch die Vertragsfreiheit der Parteien besondere Beachtung finden. Die Transformation der SE-Richtlinie in das nationale Recht der Mitgliedstaaten des EWR dient dagegen nicht dazu, die dort insbesondere für Aktiengesellschaften nationalen Rechts geltenden Bestimmungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer, insbesondere zur unternehmerischen Mitbestimmung, zu harmonisieren oder - sofern solche noch nicht existieren - derartige Bestimmungen neu einzuführen.
Die Integration der SE-Verordnung sowie die Transformation der SE-Richtlinie speziell in das liechtensteinische Unternehmens- und Gesellschaftsrecht sind aus mehrfacher Hinsicht von besonderem Interesse. Einerseits verfügt Liechtenstein als ein Land, das aktiv am internationalen Steuer- und damit auch am Standortwettbewerb teilnimmt, über eines der liberalsten, flexibelsten und vielseitigsten Gesellschaftsrechtssysteme, nicht nur in Europa. Andererseits besteht für Liechtenstein darüber hinaus die besondere Chance, zukünftig eine Rechtsform zur Verfügung stellen zu können, die frei von Vorurteilen über einen Europäischen Corporate Goodwill verfügt und zur Herausbildung eines unternehmensindividuellen europäischen Erscheinungsbildes in besonderer Weise beitragen kann.
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Dementsprechend besteht für Liechtenstein die Möglichkeit, aber auch die Herausforderung, sich als Standort auch in Bezug auf die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft gegenüber den anderen Mitgliedstaaten des EWR zu profilieren und insoweit auch entsprechend zu positionieren.
Zur Vorbereitung der Umsetzung der Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea; SE) und der Richtlinie 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer wurde von der Regierung mit RA 2002/753 vom 28. Mai 2002 eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Auswirkungen der Einführung der neuen Gesellschaftsform "Europäische Gesellschaft" im Vorhinein und bereichsübergreifend zu klären. Mit Beschluss der Regierung vom 20. August 2002 (RA 2002/2391) wurden das Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt sowie das Amt für Volkswirtschaft beauftragt, einen Bericht und Antrag betreffend den Beschluss Nr. 93/2002 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses betreffend die Übernahme der Verordnung und der Richtlinie in das EWR-Abkommen zu Handen der Regierung zu unterbreiten. Diese Berichte und Anträge wurden mit den Entscheidungen der Regierung vom 24. September 2002 und am 24. Oktober 2002 vom Landtag genehmigt. Am 22. Januar 2003 erfolgte die Publikation der Joint-Committee-Beschlüsse (Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschusses) in LGBl. 2003 Nr. 35 und LGBl. 2003 Nr. 36. Diese Beschlüsse traten am 1. Februar 2003 in Kraft.
Mit Beschluss der Regierung vom 28. Mai 2003 nahm die Regierung den Bericht der Arbeitsgruppe samt Projektbeschreibung zur Kenntnis und beauftragte mit Herrn Dr. Martin Wenz einen SE-Spezialisten mit der Erstellung der notwendigen Vernehmlassungsunterlagen betreffend die Einführung der Europäischen Gesellschaft sowie der Anpassung damit in Zusammenhang stehender Gesetze und Verordnungen. Dr. Wenz wurde dabei von diversen Experten der Landesverwaltung (Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt, Ressort Justiz, Steuerverwaltung)
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unterstützt. Da ursprünglich geplant war, im Zuge der Erstellung des Vernehmlassungsberichtes auch die steuerrechtlichen Aspekte entsprechend mit zu berücksichtigen, wurde unter anderem auch der Ausgang der gerade im Gang befindlichen Verhandlungen mit der EU abgewartet. Erst als schliesslich klar war, dass Liechtenstein die beiden gewünschten und insbesondere in steuerrechtlicher Hinsicht für die neue Rechtsform (SE) wichtigen Richtlinien (Mutter-Tochter-Richtlinie und Fusionsrichtlinie) nicht erhalten würde, konnte der Vernehmlassungsbericht fertig gestellt und das Vernehmlassungsverfahren am 15. Februar 2005 gestartet werden. Kurz vor Ablauf der Vernehmlassungsfrist am 15. April 2005 langte eine Begründete Stellungnahme (Reasoned Opinion, RDO) seitens der EFTA-Überwachungsbehörde wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie 2001/86/EG (Arbeitnehmerbeteiligung bei der Europäischen Gesellschaft) ein, welche von der Regierung mit Beschluss vom 26. April 2005 zur Kenntnis genommen wurde. Mit Beschluss vom 1. März 2005 wurde das Antwortschreiben der Stabsstelle EWR zur Kenntnis genommen und genehmigt.
LR-Systematik
2
21
216
2
21
216
2
21
216
9
95
952
9
95
951
9
96
961
LGBl-Nummern
2006 / 031
2006 / 030
2006 / 029
2006 / 028
2006 / 027
2006 / 026
Landtagssitzungen
25. November 2005
28. September 2005
Stichwörter
Arbeit­nehmer, Betei­li­gung Euro­päi­sche Gesellschaft
Ban­ken­ge­setz, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)
BankG, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)
EG-Richt­linie 2001/86/EG (Statut der Euro­päi­schen Gesell­schaft SE)
EG-Ver­ord­nung Nr. 2157/2001 (Mit­ar­bei­ter­be­tei­li­gung Euro­päi­schen Gesellschaft
Euro­päi­sche Gesell­schaft, Aus­füh­rungs- und Beteiligungsgesetz
Invest­ment­un­ter­neh­mens­ge­setz, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)
IUG, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)
Per­sonen- und Gesell­schafts­recht, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)
PGR, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)
SE-Betei­li­gungs­ge­setz; SEBG
SEBG
SEG
SE-Gesetz
SE-Verordnung
Societas Euro­paea (SE), Aus­füh­rungs- und Beteiligungsgesetz
VersAG, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)
Ver­si­che­rungs­auf­sichts­ge­setz, Abän­de­rung (Euro­päi­sche Gesellschaft)