Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Massnahmenpakets zur Erhaltung und Stärkung der Sozialpartnerschaft in Liechtenstein
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Die kooperative Sozialpartnerschaft gehört zu den Eckpfeilern der liechtensteinischen Wirtschaftsordnung. Das Urteil des Staatsgerichtshofes vom 29. November 2004 über die Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft bei der Gewerbe- und Wirtschaftskammer hat unmittelbare rechtliche Auswirkungen auf die Wirkungsweise der Sozialpartnerschaft, insbesondere die Geltung der Gesamtarbeitsverträge (GAV). Die Regierung schlägt mit den gegenständlichen Gesetzesvorlagen ein umfassendes Massnahmenpaket vor, um die kooperative Sozialpartnerschaft auf gesicherten rechtlichen Grundlagen zu erhalten und zu stärken.
Im Einzelnen schlägt die Regierung einerseits vor, dass das mit der Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft entstandene Problem der "Aussenseiter-Arbeitgeber" durch die Schaffung eines Gesetzes über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) gelöst werden soll. Gemäss diesem nach Schweizer Vorbild formuliertem Gesetz kann ein GAV unter bestimmten Voraussetzungen von der Regierung mittels Verordnung auf nicht beteiligte Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer Wirtschaftsbranche oder eines Berufes ausgedehnt werden.
Eine Allgemeinverbindlicherklärung ist - wie ausgeführt - nur unter bestimmten gesetzlich definierten Voraussetzungen zulässig. Sie muss insbesondere wegen andernfalls zu erwartenden erheblichen Nachteilen notwendig sein und darf dem Gesamtinteresse nicht zuwiderlaufen. Zudem dürfen die berechtigten Interessen anderer Wirtschaftsgruppen und Bevölkerungskreise nicht beeinträchtigt werden. Erforderlich ist schliesslich auch ein bestimmtes Quorum: Die beteiligten Arbeitgeber müssen mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer beschäftigen, die nach der Allgemeinverbindlicherklärung dem GAV unterstehen sollen. Zugelassen zur Allgemeinverbindlicherklärung werden auch Firmenverträge, welche einzelne Arbeitgeber mit einer Arbeiternehmervereinigung abschliessen. In einem solchen Fall beträgt das Quorum 50% der Arbeitnehmer der betreffenden Branche.
Andererseits soll der Vollzug eines allgemeinverbindlich erklärten GAV im Sinne flankierender Massnahmen im Bereich der Entsendung und des Personalverleihs strikter geregelt werden. In diesen Bereichen sind die Arbeitnehmer besonders exponiert, was die Einhaltung von Arbeitsbedingungen angeht. Die Vollzugsbe-
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stimmungen des Entsendegesetzes und die Arbeitsvermittlungsgesetze sollen entsprechend angepasst werden.
Die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung eines GAV bedeutet schliesslich noch keinen flächendeckenden Schutz vor missbräuchlichen Arbeitsbedingungen, da oftmals kein GAV besteht oder ein solcher nicht allgemeinverbindlich erklärt wird. Im Sinne einer subsidiären Schutznorm soll deshalb als weitere flankierende Massnahme im Normalarbeitsvertragsrecht neu vorgesehen werden, dass Mindestlöhne geschaffen werden können. Voraussetzung für den Erlass von Mindestlohnvorschriften ist die wiederholte missbräuchliche Unterbietung der üblichen Löhne. Der Erlass solchen Normalarbeitsvertragsrechts erfolgt auf Antrag der neu geschaffenen dreigliedrigen Kommission durch die Regierung.
Die Regierung ist überzeugt, dass sie mit dem vorgeschlagenen neuen Gesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen sowie mit den flankierend vorgeschlagenen Anpassungen am Entsendegesetz, dem Arbeitsvermittlungsgesetz und dem Arbeitsvertragsrecht ein Massnahmenpaket vorlegen kann, mit welchem auf wirtschaftsverträgliche Weise der Beschäftigung von Arbeitnehmern unter missbräuchlichen Arbeitsbedingungen wirksam begegnet werden kann. Das Massnahmenpaket ist von den interessierten und involvierten Verbänden, insbesondere der LIHK, GWK und dem LANV, anlässlich der durchgeführten Vernehmlassung ausdrücklich begrüsst worden.
Zuständiges Ressort
Ressort Wirtschaft
Betroffene Amtsstelle
Amt für Volkswirtschaft
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Vaduz, 3. Oktober 2006
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Massnahmenpakets zur Erhaltung und Stärkung der Sozialpartnerschaft in Liechtenstein zu unterbreiten.
Die liechtensteinische Wirtschaftsordnung zeichnet sich durch ihre liberale Grundausrichtung aus, welche Voraussetzung und Garant für erfolgreiches Wirtschaften ist. Gleichzeitig ist der Wirtschaftsstandort Liechtenstein aber auch geprägt durch eine funktionierende Sozialpartnerschaft, in welcher die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in angemessener Weise zum Ausdruck kommen. Konkreter Ausdruck dieser gelebten Sozialpartnerschaft sind die zahlreichen Gesamtarbeitsverträge (GAV), welche zwischen den Arbeitgeberverbänden, namentlich der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK) und der Gewerbe- und Wirtschaftskammer (GWK) einerseits und dem Liechtensteinischen ArbeitnehmerInnenverband (LANV) andererseits abgeschlossen
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worden sind. Mit solchen Verträgen stellen die Vertragspartner gemeinsam Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf.
Die Regierung hat im Laufe der letzten Monate wiederholt auf die enorme (qualitative wie quantitative) Bedeutung der kooperativen Sozialpartnerschaft in Liechtenstein hingewiesen; so im Bericht und Antrag der Regierung zur Ausrichtung eines Sonderbeitrages des Landes an die Gewerbe- und Wirtschaftskammer für das Fürstentum Liechtenstein (GWK) für die Jahre 2005 und 2006 (Bericht und Antrag Nr. 57/2005, S. 15 ff.), Bericht und Antrag der Regierung zur Ausrichtung eines Sonderbeitrages des Landes an den Liechtensteinischen ArbeitnehmerInnenverband (LANV) für die Jahre 2005 und 2006 (Bericht und Antrag Nr. 58/2005, S. 12 ff.) sowie insbesondere auch in der Postulatsbeantwortung der Regierung an den Hohen Landtag betreffend die Einführung eines Verhaltenscodexes zur Gewährleistung von Mindestlöhnen (Bericht und Antrag Nr. 100/2005, S. 19 ff.). Und auch im Regierungsprogramm war es der Regierung ein Anliegen, festzuhalten, dass sie in Zukunft "massgeblich auf das Funktionieren der bewährten kooperativen Sozialpartnerschaft" (S. 18) setzt.