Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das
Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 6. September 1978 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Internationalen Atomenergie-Organisation über die Anwendung von Sicherungsmassnahmen im Rahmen des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen
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Artikel III des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomsperrvertrag) verpflichtet die Vertragsparteien, welche den Verzicht auf Kernwaffen erklärt haben, ihre nuklearen Anlagen regelmässigen Kontrollen gemäss Vereinbarung mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zu unterziehen. Diese Kontrollen werden Garantien oder Sicherungsmassnahmen (engl. Safeguards) genannt. Liechtenstein hat ein entsprechendes Kontrollabkommen am 6. September 1978 mit der IAEO abgeschlossen. Das Abkommen trat für Liechtenstein am 4. Oktober 1979 in Kraft.
Das Ende des Kalten Krieges sowie die nach dem Golfkrieg 1991 bekannt gewordenen Verstösse des Irak gegen den Atomsperrvertrag führten zum Entscheid, das System der bestehenden Garantien durch ein Zusatzprotokoll zu verstärken. Die im Zusatzprotokoll enthaltenen neuen Kontrollmittel, zusammen mit der verstärkten Anwendung der bestehenden, sollen die Effektivität des Garantiesystems erhöhen und gleichzeitig das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag dieses Systems verbessern. Dass das Zusatzprotokoll einem Bedürfnis entspricht, zeigen auch die aufgedeckten geheimen Nuklearprogramme des Irans und Libyens, die mit den traditionellen Sicherungsmassnahmen nicht entdeckt werden konnten.
Das traditionelle Garantiesystem der IAEO beruht im Wesentlichen auf einer genauen Buchführung über die Lagerung und Verwendung von Kernmaterialien (Thorium, Uran, Plutonium) sowie einer periodischen Berichterstattung an die IAEO. Diese überprüft die Buchführung und die Meldungen der Staaten mittels periodischer und systematischer Inspektionen.
Das Zusatzprotokoll ergänzt die im Kontrollabkommen vorgesehenen Massnahmen durch weitergehende Berichterstattungs- und Meldepflichten, besonders im Bereich der Forschung und Entwicklung zum Kernbrennstoffkreislauf sowie in der nuklearen Zulieferindustrie. Die Inspektoren der IAEO erhalten ein erweitertes Zugangsrecht. Zudem kann die Organisation vermehrt Umweltproben zum Zweck der Analyse und Bestätigung der Richtigkeit von Informationen erheben. Mittels des Zusatzprotokolls sollen sich die Verifikationsmassnahmen der IAEO von einem quantitativen hin zu einem qualitativen Ansatz entwickeln.
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Bisher haben 114 Länder, darunter die fünf offiziellen Atommächte (China, Frankreich, Grossbritannien, Russland und die USA) sämtliche EU-Mitgliedstaaten sowie die Schweiz, ein Zusatzprotokoll unterzeichnet. 75 von ihnen haben ihr Zusatzprotokoll bereits in Kraft gesetzt.
Die Unterzeichnung und Inkraftsetzung des Zusatzprotokolls führt zu keinen nennenswerten personellen oder finanziellen Auswirkungen für Liechtenstein. Hingegen ist eine Anpassung des mit der Schweiz bestehenden Notenaustausches vom 27. September 1979 notwendig, um die mit dem Zusatzprotokoll verbundenen weitergehenden Kontroll- und Meldepflichten, von denen auch ein liechtensteinisches Unternehmen betroffen ist, auf die schweizerischen Behörden zu übertragen.
Liechtenstein unterstützt mit der Unterzeichnung und Inkraftsetzung des Zusatzprotokolls die internationalen Bemühungen zur verstärkten Kontrolle über die Verwendung von nuklearem Material und zur Bekämpfung der Verbreitung von Kernwaffen und kernwaffenfähigem Material.
Zuständiges Ressort
Ressort Äusseres
Betroffene Amtsstelle
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
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Vaduz, 25. April 2006
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 6. September 1978 zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Internationalen Atomenergie-Organisation über die Anwendung von Sicherungsmassnahmen im Rahmen des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen zu unterbreiten.
Artikel III des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomsperrvertrag)
1 verpflichtet die Vertragsparteien, welche den Verzicht auf Kernwaffen erklärt haben, ihre nuklearen Anlagen regelmässigen Kontrollen gemäss Vereinbarung mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) zu unterziehen. Diese Kontrollen - Garantien oder Sicherungsmassnahmen (engl. Safeguards) -
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genannt - erlauben es der IAEO, zu überprüfen, ob ein Vertragsstaat die Verpflichtungen erfüllt, die ihm aus dem Atomsperrvertrag erwachsen.
Zu Beginn der 90er Jahre haben zwei Ereignisse das internationale Garantiesystem, das anfangs der 70er Jahre eingeführt wurde, erschüttert.
Das erste Ereignis war das Ende des Kalten Krieges, welches weitreichende politische Veränderungen mit sich gebracht hat. Mehrere Staaten, die bis dahin nicht Vertragsparteien des Atomsperrvertrags waren, obwohl sie über nukleare Programme verfügten, traten dem Vertrag bei und schlossen Kontrollabkommen mit der IAEO ab (Südafrika, Chile, Brasilien, Argentinien). Mit der Auflösung der Sowjetunion kamen weitere Staaten hinzu (Litauen, Weissrussland, Ukraine). Mit dem Zuwachs an Vertragsparteien ging gleichzeitig eine Zunahme der Kontrollen der IAEO und damit eine Zunahme der Kosten einher. In der Folge stellte sich die Frage der diesbezüglich verfügbaren finanziellen Ressourcen.
Das zweite Ereignis waren die nach dem Golfkrieg 1991 aufgedeckten Verstösse des Irak gegen den Atomsperrvertrag. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage der Wirksamkeit des Garantiesystems der IAEO.
Im September 1991 nahm die 35. Session der Generalkonferenz der IAEO deshalb eine Resolution mit dem Titel "Verstärkung des Garantiesystems" an. Diese Resolution beabsichtigte die Verabschiedung eines umfassenden Massnahmenpakets zur Verstärkung der Überprüfungsmöglichkeiten der Organisation. Das Sekretariat wurde daraufhin beauftragt, innerhalb von zwei Jahren ein Programm zu erarbeiten, das die technischen, finanziellen und rechtlichen Gesichtspunkte dieser Resolution abschätzen sollte. Dieses Programm trug den Titel "Programm 93+2". Anfang 1995 unterbreitete das Sekretariat dem Gouverneursrat der IAEO Vorschläge zur Überprüfung. Diese waren in zwei Teile aufgegliedert, um die Verhandlungen zu beschleunigen:
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Teil 1 beschrieb die anwendbaren Massnahmen aufgrund der vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten. Dieser Teil wurde vom Gouverneursrat am 30. März 1995 verabschiedet und ab diesem Datum wirksam.
Teil 2 beinhaltete die Massnahmen, welche zusätzliche Möglichkeiten für die IAEO forderten. Diese Massnahmen wurden im Dokument "Modell eines Zusatzprotokolls zu den Kontrollabkommen" zusammengefasst. Im September 1997 empfahl der Gouverneursrat der Generalkonferenz, den Text anzunehmen und ihn den Mitgliedsstaaten zur Unterzeichnung vorzuschlagen.
Mit dem 1993 initiierten "Programm 93+2" wollte der Gouverneursrat insbesondere die Kontrollen der IAEO erhöhen, um sicherzustellen, dass die Staaten ihre Verpflichtungen aus dem Atomsperrvertrag einhalten. Im Ergebnis beschränkten sich die bisherigen Kontrollen in erster Linie auf nukleare Materialien in den deklarierten Anlagen. Es ging nun darum, der Organisation Mittel zur Verfügung zu stellen, um einen vollständigen Überblick über alle nuklearen Aktivitäten der Vertragsstaaten zu erhalten. Die im Zusatzprotokoll enthaltenen neuen Kontrollmittel, zusammen mit der verstärkten Anwendung der bestehenden, sollten die Effektivität des Garantiesystems erhöhen und gleichzeitig das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag dieses Systems verbessern.
Die Generalkonferenz nahm den Text des Zusatzprotokolls anlässlich der 41. ordentlichen Session am 3. Oktober 1997 an. Bisher haben 114 Staaten, darunter die fünf offiziellen Kernwaffenstaaten (China, Frankreich, Grossbritannien, Russland und die USA), sämtliche EU-Mitgliedstaaten sowie die Schweiz, ein Zusatzprotokoll unterzeichnet. 75 von ihnen haben ihr Zusatzprotokoll bereits in Kraft gesetzt.
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1 | Auch Atomwaffensperrvertrag genannt. |
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