Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2006 / 71
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Inhalt des Noten­aus­tau­sches und Erläuterungen
3.Recht­liche, per­so­nelle und finan­zi­elle Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
zum Notenaustausch zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Fürstentum Liechtenstein im Hinblick auf die Interpretation und Anwendung des Vertrages vom 8. Juli 2002 betreffend die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (LGBL. 2003 Nr. 149)
 
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Der im Jahr 2002 mit den Vereinigten Staaten abgeschlossene Rechtshilfevertrag, welcher am 1. August 2003 in Kraft getreten ist, hat sich in der Praxis bestens bewährt. In einer wichtigen Frage ist es aber in letzter Zeit zu Unklarheiten über die Auslegung des Vertrages gekommen. Konkret geht es darum, ob Verfahren in den USA über den Verfall von aus strafbaren Handlungen stammenden Vermögenswerten, welche - ausserhalb des eigentlichen Strafverfahrens gegen eine bestimmte natürliche Person - gegen die Sache geführt werden (so genannte "in rem"- oder "civil forfeiture"-Verfahren), vom Rechtshilfevertrag umfasst sind oder nicht. Während bei den damaligen Vertragsverhandlungen beide Vertragsparteien davon ausgingen, dass solche Verfahren vom Vertrag umfasst sind, wurde dies vom Fürstlichen Obersten Gerichtshof in einer Entscheidung vom 4. Mai 2006 und vom Fürstlichen Obergericht in einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung vom 25. Juli 2006 verneint. Die entstandenen Unklarheiten bei der Interpretation des Vertrages sollen nunmehr durch einen Diplomatischen Notenaustausch bereinigt werden.
Zuständige Ressorts
Ressort Justiz, Ressort Äusseres
Betroffene Stellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Fürstliches Landgericht, Fürstliches Obergericht, Fürstlicher Oberster Gerichtshof, Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein, Staatsanwaltschaft
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Vaduz, 23. August 2006
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag zum Notenaustausch zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Fürstentum Liechtenstein im Hinblick auf die Interpretation und Anwendung des Vertrages zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und den Vereinigten Staaten von Amerika betreffend die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, LGBl. 2003 Nr. 149, zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Fürstentum Liechtenstein basiert auf dem bilateralen Rechtshilfevertrag vom 8. Juli 2002, LGBl. 2003 Nr. 149, und dem dazu gehörigen Diplomatischen Notenaustausch, LGBl. 2003 Nr. 150, welche zusammen am 1. August 2003 in Kraft getreten sind. Der Vertrag hat sich seither in der praktischen Anwendung sehr bewährt. Zahlreiche Rechtshilfefälle konnten zur Zufriedenheit beider Vertragssaaten erfolgreich abgewickelt werden. Die in der öffentlichen Landtagssitzung vom 13. März 2003 bei den Beratungen über den Vertrag von einzelnen Abgeordneten geäusserten Bedenken und Befürchtungen haben sich nicht bestätigt.
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So ist weder eine Flut von Ersuchen in Fiskalsachen eingelangt noch wurde versucht, über den Rechtshilfevertrag Steuerrückstände oder Steuerstrafen einzutreiben. Bis heute ist kein einziges Ersuchen wegen einer Fiskalsache an Liechtenstein gestellt worden.
Bei der Auslegung der Art. 1 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 des Vertrages ist es allerdings zu Unklarheiten gekommen.
Nach Art. 1 Abs. 1 des Vertrages leisten die Vertragsparteien einander gemäss den Bestimmungen dieses Vertrages Rechtshilfe im Zusammenhang mit der Untersuchung und Verfolgung strafbarer Handlungen sowie in damit zusammenhängenden Verfallsverfahren. Gestützt auf Art. 17 Abs. 2 des Vertrages leisten die Vertragsparteien einander in dem nach ihren jeweiligen Gesetzen zulässigen Ausmass Rechtshilfe in Verfahren betreffend den Verfall von Erlösen oder Mitteln zur Begehung strafbarer Handlungen, die Rückerstattung an Verbrechensopfer und die Vollstreckung von Geldstrafen, die durch Urteile in strafgerichtlichen Verfahren verhängt wurden. Dies kann Massnahmen zur vorübergehenden Sperrung von Erlösen und Mitteln oder die Anerkennung eines Verfallsurteiles umfassen.
In zwei Rechtshilfeverfahren, denen Ersuchen aus den Vereinigten Staaten in Verfallsverfahren zugrunde liegen, haben die liechtensteinischen Gerichte die Anwendbarkeit des Vertrages verneint. In einem dieser Verfahren hat der Fürstliche Oberste Gerichtshof (im Folgenden: OGH) bereits rechtskräftig entschieden, dass in amerikanischen Verfallsverfahren, die ausserhalb des eigentlichen Strafverfahrens gegen den oder die Täter geführt werden - diese werden auch "civil forfeiture"-Verfahren oder "in rem"-Verfahren genannt - Rechtshilfe nicht auf Grundlage des Vertrages geleistet werden könne, weil solche Verfahren keine Strafverfahren seien. In einem zweiten Verfahren hat das Fürstliche Obergericht (im Folgenden: OG) - noch nicht rechtskräftig - in gleicher Weise entschieden.
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"In rem"- oder "civil forfeiture"-Verfahren sind Verfahren, in denen die Erlöse aus strafbaren Handlungen für verfallen erklärt werden können, und zwar nicht - wie üblich - im Rahmen eines Strafverfahrens gegen einen oder mehrere Angeklagte ("criminal forfeiture"), sondern in einem gesonderten Verfahren, welches gegen die Sache selbst gerichtet ist ("in rem"-Verfahren). Gründe für die getrennte Führung der Verfahren können sein, dass der Täter flüchtig oder verstorben ist, oder aus irgend einem Grund frei gesprochen oder ausser Verfolgung gesetzt wurde, zum Beispiel weil er schuldunfähig ist. Wenn in diesen Fällen aber dennoch bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte aus strafbaren Handlungen, wie zum Beispiel aus dem Drogenhandel oder aus Korruption stammen, können sie in einem gesonderten Verfahren gegen die Sache selbst für verfallen erklärt werden. Deshalb spricht man auch von "in rem"-Verfahren. Nach dem Rechtssystem der USA können Strafverfahren vor einem Strafgericht nur gegen bestimmte natürliche Personen, nicht aber gegen eine Sache geführt werden. Deshalb sind die entsprechenden Anträge von den Staatsanwälten in "civil forfeiture"-Verfahren vor Zivilgerichten der USA einzubringen, wobei in diesen Verfahren im Vergleich zu Strafverfahren Beweiserleichterungen vorgesehen sind.
Das "civil forfeiture"-Verfahren entspricht in seinen wesentlichen Punkten dem in den §§ 356 ff. StPO geregelten so genannten objektiven Verfahren, auch wenn dieses Verfahren in Liechtenstein vor den Strafgerichten geführt wird.
Nach den Art. 1 und 17 des Vertrages fallen solche "civil forfeiture"-Verfahren nur dann unter den Vertrag, wenn sie im Zusammenhang mit der Untersuchung oder Verfolgung gerichtlich strafbarer Handlungen stehen.
Im Zuge der Verhandlungen der oben genannten Art. 1 und 17 des Vertrages hat die Verhandlungsdelegation der USA die Rechtslage in den Vereinigten Staaten dargestellt. Die liechtensteinische Verhandlungsdelegation hat das objektive Verfahren nach liechtensteinischem Recht (§§ 356 ff. StPO) beschrieben, wobei beide Seiten der Meinung Ausdruck verliehen haben, dass objektive Verfahren nach
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liechtensteinischem Recht und amerikanische "civil forfeiture"-Verfahren trotz unterschiedlicher Verfallsbestimmungen einander weitgehend entsprechen und daher von den Art. 1 und 17 des Vertrages umfasst sind. Schon bei der Vertragsverhandlung war allerdings klar, dass gemäss Art. 17 Abs. 2 des Vertrages Rechtshilfe nur im Rahmen der Gesetze des ersuchten Staates - d.h. in Liechtenstein im Rahmen des Rechtshilfegesetzes (RHG, LGBl. 2000 Nr. 215) - möglich sein wird1. Die liechtensteinische Verhandlungsdelegation sah keine in den abweichenden Verfahrensbestimmungen liegenden Gründe, die die Rechtshilfe in "civil forfeiture"-Verfahren nach Art. 64 RHG grundsätzlich unmöglich machen würden.
Demgegenüber hat der OGH mit Beschluss vom 4. Mai 2006 in einer Rechtshilfesache ausgesprochen, dass "civil forfeiture"-Verfahren der USA keine Strafverfahren seien und daher nicht unter den Anwendungsbereich des Rechtshilfevertrages fallen würden. Der Entscheidung lag ein Ersuchen des Justizministeriums der Vereinigten Staaten vom 10. Juni 2005 (samt Ergänzung vom 8. Dezember 2005) um Sperre von Konten und Schliessfächern bzw. Verlängerung der Kontosperren bei zwei liechtensteinischen Bankinstituten in einem "civil forfeiture"-Verfahren zugrunde. Aus dem amerikanischen Rechtshilfeersuchen ergibt sich, dass der Beschuldigte in den 70er und 80er Jahren in führender Stellung am Drogenhandel beteiligt war und rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 23 Jahren verurteilt wurde.2
In einem weiteren Rechtshilfeverfahren hat sich das OG in einem noch nicht rechtskräftigen Beschluss vom 25. Juli 2006 auf die obige Rechtsansicht des OGH berufen und die Rechtshilfe verweigert. Grundlage dieses Verfahrens war wieder-
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um ein Rechtshilfeersuchen des Justizministeriums der Vereinigten Staaten in einem Fall gegen eine so genannte "politically exposed person" (PEP) wegen Korruption, Betrugs und Geldwäscherei, wobei in diesem Fall unter anderem die Sperre von Vermögenswerten, welche Gegenstand eines amerikanischen "civil forfeiture"-Verfahrens sind, bei liechtensteinischen Bankinstituten begehrt wurde.3
Im genannten - vom OGH rechtskräftig entschiedenen - Fall wurden alle in Liechtenstein bis dahin bestehenden Kontosperren aufgehoben; die Behörden der USA wurden gestützt auf Art. 5 Abs. 7 des Vertrages über die Verweigerung der Rechtshilfe informiert. Diese haben die Entscheidung mit Bedauern zur Kenntnis genommen und um eine Besprechung gebeten, die am 2. August 2006 in der Liechtensteinischen Botschaft in Washington stattgefunden hat. An der Aussprache haben je zwei Vertreter des Aussen- und Justizministeriums der USA und die liechtensteinische Botschafterin teilgenommen. Dabei haben die Beamten der USA ihre Besorgnis über die Interpretationsunsicherheit in dieser wichtigen Frage und den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass der zuvor auf Expertenebene vorgeschlagene Notenaustausch rasch abgewickelt werde. Schliesslich baten sie um Verständnis für die zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte Anwendung des so genannten "USA PATRIOT Act"4. Dazu ist zu erläutern, dass das US-Bundesgericht für den Südlichen Bezirk in Indiana am 5. Juli 2006 über Antrag der dortigen Staatsanwaltschaft die Sperre von mehreren Konten, welche die beiden vom Rechtshilfeverfahren betroffenen liechtensteinischen Banken bei Korrespondenzbanken in New York führten, verfügt hat. Dieser Beschluss wurde auf eine Bestimmung des "USA PATRIOT Act" gestützt,5 nach welcher das Justizministeri-
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um der USA ermächtigt ist, Korrespondenzkonten einer ausländischen Bank in den Vereinigten Staaten zu sperren, wenn sich bei der betroffenen Bank Vermögen befinden, die nach dem Recht der USA dem Verfall unterliegen. Der "USA PATRIOT Act" ist ein nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beschlossenes Gesetz zur wirksamen Bekämpfung des Terrorismus. Neben diversen Unannehmlichkeiten hatte diese Massnahme für die beiden liechtensteinischen Bankinstitute auch kostenintensive Abklärungen vor Ort zur Folge. Es ist zu befürchten, dass die Vereinigten Staaten auch in vergleichbaren Fällen diese durch den "USA PATRIOT Act" eingeführten Bestimmungen anwenden werden.
Die Vereinigten Staaten von Amerika übermittelten durch ihre Botschaft in Bern dem Amt für Auswärtige Angelegenheiten am 14. Juli 2006 die zuvor angekündigte Diplomatische Note Nr. 82 (Beilage 1).
Die Regierung hat mit Entscheidung vom 19. Juli 2006 zur Kenntnis genommen, dass betreffend die Interpretation von Art. 1 und 17 des Vertrages Unklarheiten bestehen und diese durch den Austausch von diplomatischen Noten behoben werden sollen. Die Regierung ist der Ansicht, dass im Hinblick auf die Beantwortung der Diplomatischen Note (Entwurf in Beilage 2) der Landtag zu befassen ist.



 
1Vgl. insb. Artikel 64 RHG.
 
2Gemäss Rechtshilfeersuchen der USA war der Beschuldigte namentlich an der Beschaffung und Einfuhr von zehntausenden Pfund Marihuana in die USA beteiligt. Damit seien Erlöse von mehreren zehn Millionen US-Dollar erzielt und ins Ausland, namentlich auch nach Liechtenstein, verbracht worden. Dies entspreche auch der vom Beschuldigten unterzeichneten Schulderklärungsvereinbarung ("plea agreement"), woraus wiederum seine strafrechtliche Verurteilung wegen fortgesetzten kriminellen Unternehmens und Geldwäsche in Verbindung mit Drogenhandel resultierte.
 
3Die Schweiz leistet gegenüber den Vereinigten Staaten in "civil forfeiture"-Verfahren auf Basis des Schweizerischen Rechtshilfegesetzes (IRSG) Rechtshilfe. Diese Praxis wurde jüngst vom Schweizer Bundesgericht in einer ausführlich begründeten Entscheidung bestätigt. Vgl. BGE-Urteil vom 1. März 2006, 1 A.326/2005/.
 
4Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act of 2001 (USA PATRIOT Act), Publ.Law 107-56 (Oct. 26, 2001).
 
5§ 319, codified at 18 US Code, § 981 (k).
 
LR-Systematik
0..3
0..35
0..35.1
LGBl-Nummern
2006 / 210
Landtagssitzungen
21. September 2006
Stichwörter
Ame­rika, Rechts­hil­fe­ver­trag USA-FL, Notenaustausch
civil for­fei­ture, Rechts­hil­fe­ver­trag USA-FL
Inter­na­tio­nale Rechts­hilfe in Strafsa­chen, Ver­trag mit USA
Rechts­hil­fe­ver­trag USA-FL, Auslegung
Rechts­hil­fe­ver­trag USA-FL, civil forfeiture
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Straf­rechts­hilfe, Ver­trag mit USA
Straf­rechts­hilfe, Ver­trag mit USA, Auslegung
Straf­rechts­hilfe, Ver­trag mit USA, Verfall
USA-FL, Rechtshilfevertrag
Verei­nigte Staaten von Ame­rika, Rechts­hil­fe­ver­trag USA-FL