Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und des Rechtshilfegesetzes
(Reform der Untersuchungshaft)
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Mit der vorliegenden Gesetzesvorlage sollen die Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) über die Untersuchungshaft einer grundlegenden Reform unterzogen werden, um den sich aus Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergebenden Anforderungen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zum Ausdruck gebracht werden, besser gerecht zu werden. Im Mittelpunkt der Reform steht die Einführung eines strengen Haftfristensystems, verbunden mit einer kontradiktorischen Prüfung der Haftfrage in erster Instanz und den sich daraus ergebenden Veränderungen im Beschwerdeverfahren vor dem Obergericht.
Auf der Grundlage der österreichischen Rezeptionsvorlage, in welcher mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, das Haftrecht der österreichischen Strafprozessordnung (öStPO) grundlegend reformiert wurde, sollen daher im Wesentlichen die Bestimmungen des II. und IV. Abschnittes des XI. Hauptstückes der StPO über die Vorladung, die Vorführung, die Festnahme und die Untersuchungshaft des Beschuldigten erneuert und teilweise neu strukturiert werden.
Neben anderen Verbesserungen soll der Anklagegrundsatz im Haftrecht verstärkt werden, indem die Verhängung und jede Fortsetzung der Untersuchungshaft einen darauf gerichteten Antrag des Anklägers voraussetzen soll. Die einmal verhängte Untersuchungshaft soll schliesslich längstens für eine bestimmte Frist wirksam bleiben, vor deren Ablauf der Untersuchungsrichter eine Haftverhandlung durchzuführen oder aber den Beschuldigten freizulassen haben soll. Die Haftverhandlung soll parteiöffentlich sein und der mündlichen und kontradiktorischen Erörterung der Haftfrage dienen, wodurch die bisherige Haftprüfungsverhandlung vor dem Präsidenten des Obergerichts ersetzt werden soll. Die Dauer der Untersuchungshaft wird bis zum Beginn der Schlussverhandlung durch - nach der Schwere der angelasteten Tat und der Schwierigkeit der Untersuchung gestaffelte - Höchstfristen begrenzt
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Reform des Haftrechts sollen aber auch die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der Haftsituation verbessert werden. Dies betrifft vor allem die Einführung der notwendigen Verteidigung
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(§ 26 Abs. 3 StPO), die Beschränkung der Akteneinsicht und die Neuregelung des Kontakts des verhafteten Beschuldigten mit seinem Verteidiger (§ 30 Abs. 2 bis 4 StPO).
Als Konsequenz der durch die Rechtsprechung des EGMR bedingten Änderung der Belehrung des festgenommenen Beschuldigten über seine Verteidigungsrechte - insbesondere sein Schweigerecht - wird vorgeschlagen, auch die Bestimmungen der §§ 147 und 148 StPO über die Belehrung des zur Vernehmung vorgeladenen Beschuldigten anzupassen und damit eine in der österreichischen Rezeptionsvorlage noch bestehende widersprüchliche Situation zu vermeiden ("Wahrheitserinnerung" des auf freiem Fuss befindlichen Beschuldigten; "Schweigeerinnerung" des festgenommenen Beschuldigten).
Anregungen im Vernehmlassungsverfahren folgend sollen - aus systematischen Gründen im Einklang mit der geltenden Rezeptionsvorlage - sowohl die näheren Voraussetzungen für die Einleitung der Untersuchung (§ 41 StPO) als auch die Praxis der durch die Staatsanwaltschaft geleiteten Vorerhebungen (§ 21a StPO) im Gesetz verankert werden.
Schliesslich soll das Verfahren vor dem Obergericht als Beschwerdegericht gegen Entscheidungen des Untersuchungsrichters in Haftsachen vereinheitlicht werden (§§ 239 bis 243 StPO).
Zuständiges Ressort
Ressort Justiz
Betroffene Stellen und Institutionen
Staatsanwaltschaft, Landgericht, Obergericht, Oberster Gerichtshof, Landespolizei, Landesgefängnis, Amt für Soziale Dienste, Rechtsanwaltskammer, Institutionen im Bereich der Bewährungshilfe
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Vaduz, 24. April 2007
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes sowie des Rechtshilfegesetzes (Reform der Untersuchungshaft) zu unterbreiten.
Es entspricht einer langen liechtensteinischen Tradition, dass die Bestimmungen des Strafrechts und des Strafprozessrechts den in Österreich geltenden Normen nachgebildet werden.
Auch bei den Bestimmungen über die Untersuchungshaft, welche sich im Wesentlichen in der Strafprozessordnung (StPO) finden und vorwiegend noch aus dem Jahre 1913
1 stammen, wurden die damals geltenden österreichischen Bestim-
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mungen als Rezeptionsvorlage herangezogen und diesen - annähernd wortgleich - nachgebildet.
Es zeigt sich, dass die liechtensteinischen Bestimmungen über die Untersuchungshaft im Wesentlichen
2 jenen Bestimmungen entsprechen, welche in Österreich bis zur Einführung des Strafprozessänderungsgesetzes (öStPÄG 1993, BGBl. Nr. 526) anwendbar waren. Österreich hat aber mit dem öStPÄG 1993 eine Regierungsvorlage gleichen Namens und eine parlamentarische Initiative zur Reform der Untersuchungshaft zusammengefasst und eine Gesetzesrevision durchgeführt; diese Änderung der österreichischen Strafprozessordnung (öStPO) griff Reformbedürfnisse und -forderungen auf, die u.a. mit den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
3 im Lichte jüngerer Entscheidungen
4 der Strassburger Organe im Zusammenhang standen.
Zusammengefasst ergibt sich, dass das öStPÄG 1993 in Österreich am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist und als "... wirklich erster grosser Schritt zur fälligen Strukturreform des Strafverfahrens - vor allem des Vorverfahrens - bezeichnet ..."
5 wurde. Aus Sicht von Strafverteidigern wurde diese öStPO-Revision
6 sogar als "... bislang grösste Reform (...) seit dem Geburtsjahr 1873 ..." bezeichnet, "... da durch die Stärkung der Verteidigungsrechte in der Anfangsphase eines Strafverfahrens (insbesondere bei der Verhängung der Untersuchungshaft) der nach heutiger Praxis oft unerträgliche Vorsprung der Staatsanwaltschaft auf ein für eine zweckmässige Strafverfolgung erforderliches Mass reduziert wird"
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1 | Vgl. Strafprozessordnung vom 31. Dezember 1913, LGBl. 1914 Nr. 3. |
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2 | Anm.: Abweichungen ergeben sich insbesondere durch die unterschiedliche Gerichtsorganisation beider Staaten. |
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3 | Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), LGBl. 1982 Nr. 60/1. |
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4 | Siehe Österreich: die Zitate in 924 der Beilagen XVIII. GP, 14 bis 17. |
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5 | Einleitung zur Regierungsvorlage vom 28. Juli 1993 des damaligen österreichischen Bundesministers für Justiz Dr. Nikolaus Michalek. |
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6 | Anm.: gesamthaft, d.h. nicht nur auf das neue Haftrecht begrenzt. |
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7 | Vgl. z.B. Ainedter, AnwBl. 193, S. 721. |
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