Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
zur formulierten Initiative vom 2. April 2007 betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz, VRG)
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Die von den Initianten vorgeschlagene Abänderung des Gesetzes über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz, VRG) wird damit begründet, dass die Wahlkreise einen bedeutsamen geschichtlichen Ursprung haben und in erster Linie dazu dienen, seitens der Abgeordneten Bürgernähe zu gewährleisten. Die geographische Festlegung der Wahlkreiseinteilung geht letztlich auf die im Zuge von Erbteilungen erfolgte Herausbildung der Herrschaft Schellenberg und der Grafschaft Vaduz im 14. Jahrhundert zurück. Diese Aufteilung hat sich seitdem als sehr stabil und als kaum umstritten erwiesen. Zudem bestand unter Berücksichtigung der verfassungsgeschichtlichen Ausgangslage und der damit einhergehenden Verfassungswirklichkeit für das Erfordernis der positiv-rechtlichen Formulierung, dass der Kandidat bzw. die Kandidatin Wohnsitz im Wahlkreis haben muss, nach 1878 keinerlei Veranlassung mehr. Basierend auf diesem Grundprinzip hat sich die Wahlkreiseinteilung weitgehend bewährt und ist Garant für einen breiter abgestützten Konsens in der politischen Entscheidungsfindung. Durch die Schaffung von zwei Wahlkreisen wurde das Prinzip der Repräsentation verstärkt. Repräsentation in diesem Zusammenhang bedeutet, dass der bzw. die Abgeordnete im Wahlkreis wohnt, was seither ausnahmslos und unangefochten einen festen Bestandteil der liechtensteinischen Verfassungswirklichkeit bildet. Dieses Prinzip der Repräsentation wird auch dadurch verwirklicht, dass Unterländer und Oberländer Abgeordnete eben auch in den jeweiligen Wahlkreisen zu wohnen haben.
Gleichzeitig soll diese Initiative mit der vorgeschlagenen Teilrevision des VRG das Ziel verfolgen, dem nach Überzeugung der Initianten nicht gegebenen Interpretationsspielraum im Sinne einer Klarstellung positiv rechtlich zu schliessen.
Die Regierung führt im gegenständlichen Bericht zur Initiative betreffend die Abänderung des VRG und der hierdurch anlässlich der ersten Lesung im Landtag aufgeworfenen Fragen und Bedenken anhand eines eingeholten Gutachtens Folgendes näher aus:
Einerseits bindet die Verfassung den Erwerb, die Innehabung, die Ausübung und den Verlust der politischen Rechte an den ordentlichen Wohnsitz im Lande, das Wahlrecht zum Landtag insbesondere an den ordentlichen Wohnsitz in einem der
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zwei Wahlbezirke. Das Recht auf ein Mandat als Abgeordneter des Landtags, wird durch die Wahl für einen bestimmten Wahlbezirk nur im Hinblick auf den ordentlichen Wohnsitz in diesem Wahlbezirk (in der betreffenden Landschaft) erworben und geht daher auch durch Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes innerhalb der Wahlperiode in einen anderen Wahlbezirk (in eine andere Landschaft) wieder verloren. Dies ist in der Verfassung allgemein vorgezeichnet und im VRG zwar nicht ausdrücklich vorgeschrieben, aber in die Bestimmungsgründe der Vorschriften für das Wahlrecht im Landtag sinngemäss eingeschlossen.
Andererseits erweist sich angesichts dieses Umstandes die Hervorhebung des Wahlkreises in der Initiative als sinnvoll. Die von den Initianten in Angriff genommene Ergänzung des VRG ist mit einer geringfügigen sprachlichen Korrektur geeignet, im Sinn des geltenden Rechts Klarheit zu schaffen. Sie liegt mit ihrem Anliegen zur Klarstellung des Gesetzestextes innerhalb der verfassungsgesetzlich vorgeschriebenen Rahmenbedingungen für das Wahlrecht zum Landtag.
Zuständiges Ressort
Ressort Inneres
Betroffene Amtsstellen
Regierungskanzlei
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Vaduz, 11. März 2008
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehende Stellungnahme zur formulierten Initiative vom 2. April 2007 betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz, VRG) zu unterbreiten.
Die Abgeordneten Markus Büchel, Alois Beck, Elmar Kindle, Johannes Kaiser, Renate Wohlwend, Josy Biedermann, Peter Lampert, Klaus Wanger und Doris Frommelt reichten am 2. April 2007 eine Initiative betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz, VRG) ein.
Der Landtag beschloss in seiner Sitzung vom 25. April 2007 die Initiative der Regierung zur Überprüfung zu überweisen.
Die formulierte Initiative lautet wie folgt:
Initiative
Aufgrund von Art. 32 und 35 der Geschäftsordnung vom 11. Dezember 1996 für den Landtag des Fürstentums Liechtenstein, LGBl. 1997 Nr. 61, i.d.g.F., unter-
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breiten die unterzeichneten Abgeordneten den Antrag, der Landtag wolle beschliessen:
Gesetz
vom
betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten (Volksrechtegesetz, VRG)
Dem nachstehenden vom Landtag gefassten Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung:
I.
Abänderung bisherigen Rechts
Das Gesetz vom 17. Juli 1973 über die Ausübung der politischen Volksrechte in Landesangelegenheiten, LGBl. 1973 Nr. 50, in der geltenden Fassung, wird wie folgt abgeändert:
Art. 37 Abs. 2
2) Jeder Wahlvorschlag darf nur Kandidaten eines Wahlkreises enthalten und muss von wenigstens 30 Stimmberechtigten desselben Wahlkreises eigenhändig unterschrieen sein. Die Echtheit der Unterschriften muss von einem Gemeindevorsteher oder von einer Urkundenperson (Art. 81 RSO) amtlich beglaubigt werden.
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Art. 44 Einleitungssatz
Ein Kandidat darf nur im Wahlkreis seines ordentlichen Wohnsitzes (Art. 32 ff. PGR) und in nur einem Wahlvorschlag stehen, andernfalls hat die Regierung nach Ablauf der Eingabefrist dem mehrfach Vorgeschlagenen Abschriften der betreffenden Wahlvorschläge zuzustellen mit der Einladung, sofort zu erklären, welchem Vorschlag er zugeteilt sein wolle.
Art. 63 Abs. 1
1) Abgeordnete, die das Stimmrecht nachträglich verlieren oder den ordentlichen Wohnsitz (Art. 32 ff. PGR) während der Mandatsperiode in einen anderen Wahlkreis verlegen, gehen ihres Mandates verlustig.
II.
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage der Kundmachung in Kraft.
Begründung der Initiative:
Die Initianten begründen ihre Gesetzesinitiative dahingehend, dass Wahlkreise einen bedeutsamen geschichtlichen Ursprung haben und in erster Linie dazu dienen, seitens der Abgeordneten Bürgernähe zu gewährleisten. Die geographische Festlegung der Wahlkreiseinteilung geht letztlich auf die im Zuge von Erbteilungen erfolgte Herausbildung der Herrschaft Schellenberg und der Grafschaft Vaduz im 14. Jahrhundert zurück.
Bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde sowohl in der Herrschaft Schellenberg, als auch in der Grafschaft Vaduz vom Volk ein an der versammelten Landsgemeinde aus einem Dreiervorschlag der Landesherrschaft in offener
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Wahl ein Landamann bestimmt. Im Zuge der Vereinigung der Herrschaft Schellenberg (1699) und Vaduz (1712) im Jahre 1719 zum Reichsfürstentum Liechtenstein wurde dieses Volksrecht abgeschafft.
Mit der landständischen Verfassung von 1818 wurde eine Art Wahlkreiseinteilung insofern erkennbar, als die Geistlichkeit drei Mitglieder auf Lebenszeit nominieren konnte und zwar zwei aus der "Grafschaft Vaduz" und eines aus der "Herrschaft Schellenberg". Die Landmannschaft dagegen bestand aus den Vorstehern und Säckelmeistern der Gemeinden. Hinzu kamen noch wohlhabende Personen. Die Verfassung von 1862 legte ein indirektes Wahlverfahren fest, wonach in jeder Gemeinde "auf je 100 Seelen" zwei Wahlmänner aufzustellen waren. Diese Zusammenstellung und die daraufhin vorzunehmende Wahl erfolgte ohne jegliche Berücksichtigung einer Wahlkreiseinteilung. Erst 1878 wurde die Wahlordnung abgeändert, indem nun die Wahlmänner in der "obern und untern Landschaft" getrennt die Wahl der Landtagsabgeordneten vornahmen.
Von den insgesamt 12 Landtagsabgeordneten - der Fürst konnte zusätzliche drei ernennen - wurden sieben durch die Wahlmänner des Oberlandes und fünf durch die Wahlmänner des Unterlandes gewählt.
Als dann 1918 die Direktwahl der Abgeordneten eingeführt wurde, konnte der Fürst weiterhin drei Mitglieder ernennen. Oberland und Unterland bildeten insoweit "je einen eigenen Wahlbezirk" als im Oberland sieben Abgeordnete und im Unterland fünf Abgeordnete gewählt wurden. Das Ernennungsrecht des Fürsten für drei Abgeordnete wurde mit der Verfassung von 1921 abgeschafft und die Direktwahl aller Abgeordneten eingeführt. Das Oberland und Unterland bildete weiterhin "je einen Wahlbezirk". Seither hat sich an der Wahlkreiseinteilung grundsätzlich nichts mehr geändert.
Historischer Auslöser für die Wahlkreisaufteilung bildeten die sogenannten Münzwirren. Als sich die Unterländer 1876 bei der Abänderung des Währungssystems benachteiligt fühlten und dies dadurch zum Ausdruck brachten, dass über
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300 Unterländer vor dem Regierungsgebäude protestierten, kam es danach zur Auflösung des Landtages und der daraufhin erfolgte Boykott der Wahlen durch die Unterländer führte mit Verfassungsänderungsgesetz von 1878 zur Schaffung von zwei Wahlkreisen.
Die Benachteiligung der Unterländer Interessen wurde seinerzeit dadurch manifest, dass trotz Abwesenheit aller Unterländer Abgeordneten und ablehnender Stellungnahme aller Unterländer Gemeinden 1876 die Goldwährung eingeführt wurde. Dadurch sahen sich die Unterländer benachteiligt und sahen sich mit dem Faktum konfrontiert, dass es dem Oberland, auf welches 3/5 der Wahlmänner entfielen, arithmetisch ermöglicht wurde, die Unterländer unter Umständen ganz aus dem Landtag zu verdrängen und aufgrund der Mehrheit der Oberländer Wahlmänner lauter Oberländer Abgeordnete zum Landtag zu wählen. Die Schaffung von zwei Wahlkreisen verstärkte die Repräsentation insoweit, als seither beiden Landschaften eine feste Zahl von Abgeordneten zugeteilt wird. Diese Aufteilung hat sich seitdem als sehr stabil und mit Ausnahme der Aufweichung der Wahlkreise in den Jahren 1932 bis 1938/1939 durch Einführung von Gemeindequoten - in jeder Gemeinde mit mehr als 300 Einwohnern wurde ein Abgeordneter gewählt und die restlichen Abgeordneten landesweit in einem Einheitswahlkreis - als kaum umstritten erwiesen, wobei auch in diesen Jahren die Mandatsverteilung so erfolgte, dass insgesamt weiterhin neun Mandate auf das Oberland und sechs auf das Unterland entfallen mussten. Die Mandatszahlerhöhung von 15 auf 25 Abgeordnete im Jahre 1988 hat das alte Verhältnis von 2 (Unterland) zu 3 (Oberland) unangetastet gelassen.