Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Europäische Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 24. November 1983
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Das Europäische Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (im Folgenden: Übereinkommen) ist am 24. November 1983 zur Unterzeichnung aufgelegt worden und am 1. Februar 1988 in Kraft getreten. Es harmonisiert die Gesetzgebungen der Vertragsstaaten im Bereich der Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. Das Opfer bzw. die von ihm abhängigen Hinterbliebenen sind durch denjenigen Staat zu entschädigen, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat, namentlich schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung, begangen wurde, sofern eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen gedeckt werden kann. Die Wiedergutmachung des Unrechts ist an Staatsangehörige von Vertragsstaaten des Übereinkommens und an Staatsangehörige aller Mitgliedsstaaten des Europarats zu leisten, die ihren ständigen Aufenthalt in dem Vertragsstaat haben, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen worden ist. Es müssen zumindest der Verdienstausfall, die Heilbehandlungs- und Krankenhauskosten, die Bestattungskosten und bei Unterhaltsberechtigten der Ausfall von Unterhalt gedeckt werden. Das Übereinkommen stellt Grundsätze auf, zu deren Umsetzung sich die Vertragsstaaten verpflichten. Die Ratifikation des Übereinkommens hat einerseits eine Besserstellung jener Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner zur Folge, die in einem Vertragsstaat des Übereinkommens Opfer eines Gewaltverbrechens werden. Andererseits ist es auch aus Gründen der Gerechtigkeit und der europäischen sozialen Solidarität angezeigt, sich länderübergreifend mit der Lage der Opfer vorsätzlicher Gewalttaten zu befassen. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass das Übereinkommen seit dem 11. September 2001 vom Europarat als eines der Instrumente im Kampf gegen den Terrorismus bezeichnet wird und dadurch wieder mehr Beachtung gefunden hat.
Mit Inkrafttreten des liechtensteinischen Opferhilfegesetzes (OHG - LGBl. 2007 Nr. 228) am 1. April 2008 erfüllt das liechtensteinische Recht die Bestimmungen des Übereinkommens. Weitere rechtliche Anpassungen sind nicht notwendig.
Die gemäss Art. 12 des Übereinkommens vorgesehene zentrale Behörde wird beim Ressort Justiz errichtet. Es wird davon ausgegangen, dass die finanziellen und personellen Auswirkungen der Ratifikation gering sind.
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Zuständige Ressorts
Ressort Äusseres, Ressort Justiz
Betroffene Stellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Opferhilfestelle
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Vaduz, 15. Juli 2008
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Europäische Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 24. November 1983 zu unterbreiten.
Opfer von Straftaten haben häufig mit zahlreichen und vielfältigen Problemen zu kämpfen. Das Opfer kann im Anschluss an eine vorsätzliche strafbare Handlung unter Umständen für lange Zeit unter einer körperlichen Verletzung sowie unter gravierendem psychischem Stress oder anderen Problemen leiden. Möglicherweise verspürt das Opfer einer Straftat eine Verletzung seiner persönlichen Integrität, leidet längerfristig unter Angstzuständen, wenn es sich in die Öffentlichkeit begibt, und kann - ganz allgemein formuliert - die Lebensfreude Schritt für Schritt verlieren. Zunächst benötigt ein Opfer Hilfe bei der Bewältigung der unmittelbaren Folgen der Straftat: Geld für den vorläufigen Lebensunterhalt; Unterkunft; jemanden, der sich um die Kinder kümmert, etc. An die Soforthilfe anschliessen muss unter Umständen eine langfristige Hilfe, die verhindern soll, dass das Opfer als direkte oder indirekte Folge der Straftat den Halt verliert oder in die Isolation
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gerät. Dementsprechend ist eine Entschädigung notwendig und angebracht. Für die Zahlung einer solchen Wiedergutmachung des Unrechts ist im Normalfall der Straftäter selbst zuständig. Diese Verantwortlichkeit des Täters, auch unter "Haftpflicht" bekannt, fällt in den Bereich des Zivilrechts jedes Staates und verpflichtet den Straftäter, dem Opfer eine Entschädigung in dem Umfang zu zahlen, der den erlittenen Schaden vollumfänglich deckt. Jedoch ist es in vielen Fällen für das Opfer nicht möglich, eine angemessene Entschädigung vom Täter selbst zu erhalten. Unter Umständen wird der Straftäter nie identifiziert oder aber die Nachforschungen und Befunde der polizeilichen Ermittlungen ergeben keine hinreichende Beweislage hinsichtlich der Person, welche die Straftat begangen haben soll. Auch wenn das Gericht dem Opfer im zivilrechtlichen Verfahren Schadenersatz zuerkannt hat, verfügt der Straftäter möglicherweise weder über Einkommen noch über Vermögen und ist nicht in der Lage, eine der Tat entsprechende Entschädigung zu entrichten.
Die Verstärkung des Opferschutzaspektes hat sich in den letzten Jahrzehnten vorerst auf nationaler Ebene gezeigt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde immer häufiger betont, dass die Unterstützung der Opfer ein ständiges Anliegen der strafrechtlichen Vorgehensweise sein müsse. Das Hauptanliegen war es, mit Hilfe der nationalen Gesetzgebung einen Ausgleich zwischen dem Opfer oder seinen Angehörigen und dem Täter zu schaffen. Ab den 1960er Jahren begannen viele Europaratsmitgliedsstaaten, nationale Gesetzgebungen für Opfer von Gewalttaten, bei denen der Staat bei Zahlungsunfähigkeit oder Nichtauffinden des Täters für die Kompensation aufkommt, auszuarbeiten. Diese Staaten wurden bald mit dem Problem konfrontiert, dass ihre nationalen Gesetzgebungen Fälle von grenzüberschreitender Relevanz nicht abdeckten. Aus diesem Grund beschlossen die Europaratsmitglieder, ein Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten mit verbindlichen europaweiten Verpflichtungen zu schaffen. Es wurde 1983 zur Unterzeichnung aufgelegt und ist seit 1. Februar 1988 in Kraft. Das Übereinkommen wurde bisher von 21 Europaratsmitgliedsstaaten - darunter Deutschland, Frankreich, Norwegen, Österreich und die Schweiz - ratifiziert und
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weitere 10 Staaten, darunter Liechtenstein am 7. April 2005, haben das Übereinkommen unterzeichnet (zum aktuellen Geltungsbereich siehe Beilage 2).
Zusätzlich zum Übereinkommen haben sich die Europaratsmitgliedsstaaten an der 27. Konferenz der europäischen Justizminister (12./13. Oktober 2006) in Erevan (Armenien), unter dem Titel "Das Opfer: seine Stellung, seine Rechte, seine Unterstützung", für eine nicht bindende Empfehlung [Rec(2006)8] für die Unterstützung der Opfer von Straftaten sowie häusliche Gewalt, Verbrechensverhütung, Wiedergutmachung und Mediation ausgesprochen. Die Durchführung einer Ministerkonferenz zu diesem Thema ist ein Beleg dafür, dass der Opferschutz ein aktuelles Thema ist und breit abgestützte Beachtung findet.