Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954, das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 sowie die Rücknahme der Vorbehalte zu Art. 17 und 24 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 sowie zu Art. 7 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 und zu Art. 24 ABS. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966
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Nach internationalem Recht obliegt es jedem Staat selbst, im Rahmen der eigenen Gesetzgebung festzustellen, wer seine Staatsangehörigkeit besitzt. Diese Regelungen müssen aber allgemeine Grundsätze des internationalen Rechts und insbesondere Grundsätze betreffend Erwerb, Verlust oder Versagung der Staatsangehörigkeit berücksichtigen. Trotz verschiedener positiver Entwicklungen sieht sich die internationale Gemeinschaft heute zahlreichen Situationen von Staatenlosigkeit und Unmöglichkeiten der Festlegung einer Staatsangehörigkeit gegenüber. So wurden bspw. durch die Auflösung der Sowjetunion viele Personen staatenlos.
Die Staatsangehörigkeit stellt eine rechtliche Bindung zwischen einem Staat und einer natürlichen Person her. Staatenlos sind Personen, die kein Staat nach seinem Recht als Staatsangehörige erachtet. Der Besitz einer Staatsangehörigkeit ist für die uneingeschränkte Teilhabe am Leben der Gesellschaft unerlässlich und eine grundsätzliche Voraussetzung für die Gewährung diplomatischen Schutzes. So sind beispielsweise politische Rechte und das Recht auf Einreise bzw. Aufenthalt in einem Staat oft ausschliesslich Staatsangehörigen vorbehalten. Das Problem der Staatenlosigkeit kann durch folgende Umstände entstehen: in Zusammenhang mit der Staatennachfolge, durch Verbot der Weitergabe der Staatsangehörigkeit einer Mutter an ihre Kinder, durch automatischen Verlust der Staatsangehörigkeit aufgrund eines langjährigen Aufenthalts im Ausland, durch Verlust der Staatsbürgerschaft aufgrund der Heirat mit einem Ausländer bzw. einer Ausländerin, durch Änderung der Staatsangehörigkeit eines Ehegatten während der Ehe sowie durch Nichterwerb der Staatsangehörigkeit im Falle ausserehelich geborener Kinder. Als "staatenlos" gilt eine Person, die kein Staat auf Grund seines Rechtes als Staatsangehörigen ansieht.
Das Übereinkommen von 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (welche nicht Flüchtlinge sind) bezweckt vor allem, den Status von staatenlosen Personen zu regeln und ihnen ohne Diskriminierung die fundamentalen Rechte und Freiheiten zu gewähren und sie damit im Wesentlichen den Flüchtligen gleichzustellen. Es basiert grundsätzlich auf der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, weshalb viele Artikel mit jener der Genfer Konvention identisch sind. Wichtigster Artikel des Vertrages von 1954 ist neben Art. 1, welcher den Begriff des "De-jure Staa-
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tenlosen" erstmals definiert hat, Art. 32, der praktisch wortwörtlich dem Art. 34 des Abkommens von 1951 entspricht und ebenfalls als "Wohlwollensklausel" ausgestaltet ist. Wie im Abkommen vom Jahre 1951 betreffend die Flüchtlinge führt die Anwendbarkeit des Art. 32 des Übereinkommens auf staatenlose Asylwerber nicht zu einer Einbürgerungsverpflichtung für diesen Personenkreis. Es ist vielmehr Aufgabe der Einbürgerungsbehörden, unter Beachtung des aus Art. 32 des Übereinkommens folgenden Wohlwollensgebotes, die für und gegen eine Einbürgerung sprechenden Interessen genau abzuwägen.
Im Unterschied zum Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen befasst sich das Übereinkommen von 1961 über die Verminderung der Staatenlosigkeit nicht mit dem Status sowie den Rechten und Pflichten der Staatenlosen. Es verfolgt ausschliesslich den Zweck, die Fälle der Staatenlosigkeit zu vermindern. Insbesondere soll es die Möglichkeit des Erwerbs bzw. der Aufrechterhaltung der Staatsbürgerschaft durch diejenigen Personen einräumen, die sonst staatenlos würden und eine effektive Verbindung zum Staat durch Geburt, Abstammung oder Niederlassung haben. Es ist damit eine wesentliche Ergänzung und ein weiterer Fortschritt zum Übereinkommen von 1954.
Die Ratifikation der Übereinkommen von 1954 und 1961 schliesst eine Lücke bezüglich der liechtensteinischen Mitgliedschaft bei internationalen Übereinkommen im Bereich der Staatenlosigkeit. Durch die Revision des Landesbürgerrechtsgesetzes, das am 10. Dezember 2008 in Kraft getreten ist, sind die Voraussetzungen für die Annahme der beiden Übereinkommen geschaffen worden. Der Bericht und Antrag stützt sich deshalb wesentlich auf den Vernehmlassungsbericht und den Bericht und Antrag der Regierung (Nr. 80/2008) betreffend die Abänderung des Gesetzes über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechts in Bezug auf Integration, Findelkinder, Staatenlose und erweiterte Verleihvoraussetzungen und Hindernisse (Landesbürgerrechtsgesetz) sowie auf die betreffende Stellungnahme der Regierung an den Landtag zu den anlässlich der ersten Lesung aufgeworfenen Fragen (Nr. 96/2008).
Mit dem Abschluss der Übereinkommen von 1954 und 1961 werden ausserdem wesentliche Inhalte einer parlamentarischen Initiative aus dem Jahr 1999 umgesetzt, in der die Regierung eingeladen wurde, ein erleichtertes Verfahren für Staatenlose zu überprüfen. Es folgten mehrere entsprechende parlamentarische Vor-
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stösse, deren Umsetzung aufgrund der damals fehlenden Rechtsgrundlage nicht realisiert werden konnte.
Im Rahmen der Annahme der beiden Übereinkommen und auf der Grundlage des neuen Landesbürgerrechts sollen zudem verschiedene Vorbehalte zurückgenommen werden, nämlich die Vorbehalte zu den Art. 17 und 24 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 sowie zu Art. 7 der Kinderrechtskonvention von 1989 und zu Art. 24 Abs. 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1966.
In Liechtenstein leben derzeit sechs staatenlose Personen. Die Annahme der beiden Übereinkommen wird weder eine sofortige noch eine spätere Einbürgerung dieser Personen bedeuten, sondern eine Stärkung ihrer Rechte und die weitestgehende Gleichbehandlung mit Ausländern bewirken.
Die Übereinkommen von 1954 und 1961 gelten als Referenzdokumente für einen internationalen Konsens betreffend die Grundsätze zur Staatsangehörigkeit. Liechtenstein hat der Situation und den Problemen der Flüchtlinge seit jeher grosses Interesse entgegengebracht und insbesondere der Festigung ihrer Rechtsstellung durch den Beitritt zu verschiedenen internationalen Übereinkommen Bedeutung beigemessen. Die vorliegenden Übereinkommen gewähren den Staatenlosen Grundrechte und -freiheiten in gleichem Ausmass.
Für die Ratifikation der beiden Übereinkommen sind keine rechtlichen Anpassungen erforderlich. Das Thema Staatenlosigkeit wurde bereits in die Vernehmlassung zur Abänderung des Gesetzes über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechts berücksichtigt. Auch das Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) und das Gesetz über die Invalidenversicherung (IVG) sind mittlerweile mit den Bestimmungen des Übereinkommens vereinbar.
Es entstehen weder direkte finanzielle, personelle noch räumliche Auswirkungen.
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Zuständige Ressorts
Ressorts Äusseres, Inneres, Justiz
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Ausländer- und Passamt, Amt für Soziale Dienste, Amt für Volkswirtschaft
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Vaduz, 5. Mai 2009
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954, das Übereinkommen über die Verminderung der Fälle von Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 sowie die Rücknahme der Vorbehalte zu Artikel 17 und 24 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, zu Artikel 7 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 und zu Artikel 24 Absatz 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 zu unterbreiten.
"Jedermann hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Niemand soll willkürlich seiner Staatsbürgerschaft beraubt werden, noch soll ihm das Recht, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln, versagt sein." Dies ist der Wortlaut von Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Das Recht auf eine Staatsangehörigkeit und das Bedürfnis, eine effektive Staatsangehörigkeit sicherzustel-
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len, damit auf dieser Basis andere Rechte in Anspruch genommen werden können, sind im Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt worden.
Nach internationalem Recht obliegt es jedem Staat selbst, im Rahmen der eigenen Gesetzgebung festzustellen, wer zu seinen Staatsangehörigen zählt. Diese Regelungen müssen aber allgemeine Grundsätze des internationalen Rechts und insbesondere Grundsätze betreffend Erwerb, Verlust oder Versagung der Staatsangehörigkeit berücksichtigen.
Trotz verschiedener positiver Entwicklungen sieht sich die internationale Gemeinschaft heute zahlreichen Situationen von Staatenlosigkeit und Unmöglichkeiten der Festlegung einer Staatsangehörigkeit gegenüber. Gründe für eine Staatenlosigkeit sind unter anderem:
Politische Umwälzungen und neue Grenzziehungen (z.B. Ende der Kolonialzeit, Zusammenbruch der früheren Sowjetunion, Gründung von Israel): In vielen relativ neu entstandenen Ländern (z.B. Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Demokratische Republik Kongo, Kenya) mit zum Teil willkürlich gezogenen Landesgrenzen werden ethnische Minderheiten diskriminiert und haben aufgrund der nationalen Gesetzgebung kein Anrecht auf die Staatsbürgerschaft, obwohl sie vielleicht seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten dort ansässig sind. Die Palästinenser stellen weltweit die grösste Gruppe an Staatenlosen. Die wenigsten arabischen Staaten, welche palästinensische Flüchtlinge aufgenommen haben, gewähren den Palästinensern die Staatsbürgerschaft. Kurdische Minderheiten in Syrien, Iran und Irak sind ebenfalls stark betroffen. Ein weiteres Beispiel sind Personen russischer Abstammung in den baltischen Staaten oder anderen Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion.
Nationale Heiratsgesetzgebungen: In einigen Ländern verlieren Frauen ihre angestammte Staatsbürgerschaft automatisch bei der Heirat mit einem
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Mann anderer Herkunft. Scheitert die Ehe, kann es sein, dass die Frau weder ihre ursprüngliche noch eine neue Staatsbürgerschaft besitzt.
Fehlende Geburtenregistrierung: In einigen Staaten werden Neugeborene nicht systematisch registriert oder der Bevölkerung fehlen die finanziellen Mittel, um ihre Kinder registrieren zu lassen. Dies ist problematisch für Kinder von Einwanderern, die nicht über die Staatsbürgerschaft des Aufnahmestaates verfügen. Auch wenn den Kindern nach nationalem Recht theoretisch bei Geburt die Staatsbürgerschaft zustände, ist es ihnen vielfach nicht möglich, die Geburt in jenem Land zu belegen. Häufig kann auch nur der Vater die Staatsbürgerschaft weitergeben, und wenn dieser bereits staatenlos ist, ist auch das Kind staatenlos.
Internationale Adoptionen: Verschiedene Staaten entziehen dem Kind bereits beim Zeitpunkt der Ausreise die Staatsbürgerschaft und erklären die Adoption für rechtskräftig. Gibt es im Aufnahmestaat (wie zum Beispiel in gewissen Fällen auch in Liechtenstein) noch eine Probezeit, besteht das Risiko, dass die Adoption nicht zustande kommt und das Kind staatenlos bleibt.
Ein erklärter Schwerpunkt der liechtensteinischen Aussenpolitik ist das Eintreten für den Schutz der Menschenrechte. In diesem Zusammenhang hat Liechtenstein der Situation und den Problemen der Flüchtlinge seit jeher grosses Interesse entgegengebracht und insbesondere der Festigung ihrer Rechtsstellung durch den Beitritt zu folgenden internationalen Übereinkommen Bedeutung beigemessen:
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (heute rund 144 Vertragsstaaten, LGBl. 1956 Nr. 15)
Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967
(über 144 Vertragsparteien, LGBl. 1986 Nr. 75)
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Europäisches Übereinkommen über die Abschaffung des Visumszwangs für Flüchtlinge vom 20. April 1959 (22 Mitgliedstaaten des Europarats als Vertragsparteien, LGBl. 1970 Nr. 31)
Die im vorliegenden Bericht und Antrag behandelten Übereinkommen gelten als Referenzdokumente für einen internationalen Konsens betreffend die Grundsätze zur Staatsangehörigkeit. Mit der Abänderung des Gesetzes über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechts vom 17. September 2008 schuf die Regierung gezielt die Grundlage für die Annahme der beiden Übereinkommen. So wurden "als Vorbereitung für den geplanten Beitritt zum Übereinkommen über die Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 und zum Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 [...]" Bestimmungen zu Staatenlosen und Findelkindern in den Gesetzestext aufgenommen (BuA 80/2008, S. 6).
Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Anzahl von Staatenlosen in Liechtenstein:
2003 | 2004 | 2005 | 2006 | 2007 | 2008 |
6 | 6 | 7 | 7 | 7 | 6 |
Die Annahme der Übereinkommen von 1954 und 1961 bedeutet weder die sofortige noch die spätere Einbürgerung der gegenwärtig sechs Staatenlosen in Liechtenstein. Hingegen werden ihre Rechte gemäss den Bestimmungen der
Übereinkommen gestärkt und sie erfahren eine weitgehende Gleichbehandlung mit Ausländern in wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Bereichen. Künftig in Liechtenstein geborene Staatenlose würden von der Möglichkeit zur Beantragung des erleichterten Einbürgerungsverfahrens profitieren.