Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Staatsanwaltschaftsgesetzes (StAG) sowie Abänderung weiterer Gesetze
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Mit der gegenständlichen Vorlage des Staatsanwaltschaftsgesetzes soll eine selbständige gesetzliche Regelung des Organisationsrechts der Staatsanwaltschaft und des Dienstrechts der Staatsanwälte erfolgen. Bisherige Grundlage staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit ist die Fürstliche Verordnung vom 19. Mai 1914, LGBl. 1914 Nr. 4, die aufgrund ihrer veralteten und lückenhaften Regelung den Erfordernissen einer rechtsstaatlichen Behörde nicht mehr entspricht. Ausserdem finden sich organisatorische Bestimmungen in der Strafprozessordnung (LGBl. 1988 Nr. 62, III. Hauptstück "Von der Staatsanwaltschaft") und im Staatspersonalgesetz, welches bis anhin auch das Dienstrecht der Staatsanwälte bestimmt.
Im Zuge der Arbeiten am Staatspersonalgesetz hat sich gezeigt, dass wesentliche Bestimmungen auf die Staatsanwaltschaft wegen ihrer besonderen, mit der Gerichtsbarkeit eng verbundenen Stellung und auf die Staatsanwälte wegen ihrer mit der allgemeinen Verwaltung nicht vergleichbaren Aufgaben im Rahmen der Strafrechtspflege nicht anwendbar sind, sondern in einem eigenen Gesetz geregelt werden müssen.
Im Gegensatz zur allgemeinen Verwaltung nimmt die Staatsanwaltschaft in Erfüllung ihrer verschiedenen gesetzlichen Aufgaben eine Rechtspflegefunktion wahr. Ihre Tätigkeit ist nicht Verwaltungstätigkeit im klassischen Sinne, sondern Strafverfolgung und Anklage. Mit der strafrechtlichen Weiterentwicklung wurden der Staatsanwaltschaft immer mehr richterähnliche Funktionen (etwa Einstellung des Strafverfahrens bei mangelnder Strafwürdigkeit, Diversion) übertragen. Das staatsanwaltschaftliche Verfahren ist kein Verwaltungsverfahren, sondern ein justizielles Verfahren; die Anordnungen des Staatsanwaltes sind keine Verwaltungsverfügungen, sondern bei Gericht anfechtbare Justizakte. Die gemeinsame Aufgabe in der Strafrechtspflege zwischen dem Gericht und der Anklagebehörde bewirkt ein besonderes Naheverhältnis zur Justiz. Staatsanwälte und Richter haben ausserdem eine gemeinsame Ausbildung und ein praktisch gleiches Anforderungsprofil zur Ausübung ihrer Tätigkeiten.
Um die Erfüllung ihrer Aufgaben im sensiblen Bereich der Strafverfolgung ohne Ansehung der Person, objektiv, unbeeinflusst, selbständig und mit weitgehender
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dienstrechtlicher Absicherung sicherzustellen, bedarf es eines dieser Stellung der Staatsanwaltschaft angepassten eigenen Organisations- und Dienstrechts.
Während im organisationsrechtlichen Teil der Vorlage die Stellung der Staatsanwaltschaft, ihre Aufgabe, das Weisungsrecht, ihre interne Organisation und Arbeitsweise sowie die Dienstaufsicht geregelt werden sollen, beinhaltet das Dienstrecht den staatsanwaltlichen Vorbereitungsdienst, die Begründung des Dienstverhältnisses, die dienstrechtlichen Rechte und Pflichten der Staatsanwälte, Bestimmungen zur Beendigung des Dienstverhältnisses und eine spezielle disziplinarrechtliche Regelung.
Die speziellen Aufsichts- und Disziplinarbestimmungen bedingen eine Anpassung von Art. 93 Bst. a der Landesverfassung. Daneben sind aufgrund der Vorlage auch kleine Anpassungen in der Strafprozessordnung, im Staatspersonalgesetz und im Richterdienstgesetz erforderlich.
Zuständige Ressorts
Ressort Präsidium
Ressort Justiz
Betroffene Stellen
Staatsanwaltschaft
Landgericht
Obergericht
Oberster Gerichtshof
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Vaduz, 28. September 2010
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Staatsanwaltschaftsgesetzes (StAG) sowie Abänderung weiterer Gesetze an den Landtag zu unterbreiten.
Derzeit fehlt im Fürstentum Liechtenstein ein eigenes Gesetz über die Staatsanwaltschaft. Organisatorische und dienstrechtliche Bestimmungen im Hinblick auf die Staatsanwaltschaft finden sich in der Strafprozessordnung, im Staatspersonalgesetz und in der fürstlichen Verordnung vom 19. Mai 1914, LGBl. 1914 Nr. 4, mit welcher gleichzeitig mit der Einführung einer neuen Strafprozessordnung eine Staatsanwaltschaft beim Fürstlichen Landgericht Vaduz eingesetzt wurde. Darin wurde die Staatsanwaltschaft der Fürstlichen Regierung unterstellt und beauftragt, im Sinne der Strafprozessordnung die Befugnisse des öffentlichen Anklägers auszuüben. Die Verfassung vom 5. Oktober 1921 nahm das von der
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Staatsanwaltschaft nach der Strafprozessordnung in Strafsachen wahrzunehmende Anklageprinzip in das Hauptstück VIII. "Von den Gerichten" (Art. 100 Abs. 1 LV) auf. Diese Verfassungsbestimmung wird prozess- und teilweise organisationsrechtlich durch die geltende Strafprozessordnung vom 18. Oktober 1988 im III. Hauptstück "von der Staatsanwaltschaft" umgesetzt.
Die Bestimmungen im Staatspersonalgesetz, insbesondere die Bestimmungen zur Dienstaufsicht und zum Weisungsrecht sowie diejenigen über das Disziplinarwesen nehmen auf die besondere Stellung und speziellen Aufgaben der Staatsanwälte nicht hinreichend Bedacht. Somit fehlen derzeit klare Vorschriften über die Dienstaufsicht, das Weisungsrecht sowie über die dienstrechtliche Absicherung der Ausübung der staatsanwaltschaftlichen Funktionen.