Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Totalrevision des Gesetzes vom 2. April 1998 über die Aufnahme von Asylsuchenden und Schutzbedürftigen (Flüchtlingsgesetz; Neu: Asylgesetz; AsylG) sowie die Abänderung des Gesetzes über die Ausländer (Ausländergesetz; AUG)
Das am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Gesetz über die Aufnahme von Asylsuchenden und Schutzbedürftigen (Flüchtlingsgesetz) hat sich im Wesentlichen bewährt. Auf der Grundlage des Völkerrechts und in Abstimmung mit den anderen europäischen Aufnahmestaaten soll die humanitäre Tradition Liechtensteins fortgeführt werden. Entsprechend den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention haben politisch Verfolgte das Recht, in Liechtenstein um Asyl nachzusuchen und ihre Asylvorbringen in einem rechtsstaatlich korrekten Verfahren prüfen zu lassen. Flüchtlingen soll auch in Zukunft Asyl gewährt werden. Demgegenüber muss die Attraktivität für Asylsuchende, welche sich bereits längere Zeit in anderen sicheren Staaten aufgehalten haben, gesenkt werden. Personen mit asylfremden Motiven sollen möglichst davon abgehalten werden, Asylbegehren einzureichen.
Anlass für die Revisionsvorschläge sind die bisherigen Erfahrungen mit dem Flüchtlingsgesetz und die rechtlichen Entwicklungen auf europäischer Ebene (Harmonisierung des Asylrechts, Assoziierung Liechtensteins zu Schengen/Dublin, Gesetzesänderungen in den Nachbarstaaten Schweiz und Österreich). Ziel ist es, namentlich in Bezug auf das Asylrecht der Schweiz kein Gefälle entstehen zu lassen und den Missbrauch des Asylrechts möglichst zu verhindern und zu bekämpfen.
Die Vorschläge zur Totalrevision des Flüchtlingsgesetzes - neu ist die Rede vom Asylgesetz (AsylG) - betreffen insbesondere die Gesetzessystematik und die Begriffsbestimmungen, die Asylgewährung (im Individualverfahren oder neu durch die Aufnahme von Flüchtlingen aus Erstasylstaaten), die Straffung des Asyl- und Beschwerdeverfahrens, die Präzisierung der Rechtsstellung von Asylsuchenden, Schutzbedürftigen und vorläufig Aufgenommenen (Lohnverwaltung, Leistungen der sozialen Sicherung und der Fürsorge) sowie die Zuweisung der Vollzugsaufgaben an die zuständigen Behörden bzw. an beauftragte Dritte.
Das Asylwesen ist Staatsaufgabe und umfasst die Sicherstellung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, die Betreuung sowie die Rechtsberatung von Asylsuchenden. Die Zuständigkeit zur Durchführung der Asylverfahren liegt derzeit beim Ausländer- und Passamt. Die Verantwortung für die Gewährleistung einer adäquaten
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Betreuung und des Zugangs zur Rechtsberatung trägt grundsätzlich ebenfalls der Staat, jedoch soll diese Aufgabe mittels Leistungsvereinbarung an geeignete private Träger delegiert werden können. Die Rahmenbedingungen für die Erfüllung der Betreuungsaufgaben und eine effiziente Zusammenarbeit zwischen den involvierten Stellen werden gesetzlich neu definiert.
Das Asylverfahren wird insbesondere bezüglich des Ortes der Einreichung von Asylgesuchen, der Sachverhaltserhebung, der Durchsuchung von Personen und Wohnunterkünften, der vorzeitigen Verfahrensbeendigung aufgrund unzulässiger Asylanträge, der Abschreibung von Asylgesuchen bei unbekanntem Aufenthalt des Gesuchstellers, der Anerkennung auch nichtstaatlicher Verfolgung als Fluchtgrund und des Asylausschlusses bei Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative präzisiert. Die bisherigen Regelungen hinsichtlich der Lohnverwaltung werden grösstenteils beibehalten. Um jedoch den administrativen Aufwand sowohl für das verfahrensleitende Amt als auch für die Betreuungsstelle zu verringern, wird die Lohnzession nicht mehr im Einzelfall verfügt, sondern gesetzlich für alle betroffenen Personen festgelegt.
Zuständiges Ressort
Ressort Inneres
Betroffene Amtsstellen
Ausländer- und Passamt
Landespolizei
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Vaduz, 30. August 2011
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Totalrevision des Gesetzes vom 2. April 1998 über die Aufnahme von Asylsuchenden und Schutzbedürftigen (Flüchtlingsgesetz; neu: Asylgesetz sowie die Abänderung des Gesetzes über die Ausländer; Ausländergesetz (AuG) an den Landtag zu unterbreiten.
Die Genfer Konvention von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK)
1 und das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967
2 stellen die -
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Grundlagen des internationalen Flüchtlingsschutzes dar. Im Fürstentum Liechtenstein sind die GFK am 8. März 1957 und das vorgenannte Protokoll am 20. Mai 1969 in Kraft getreten. Die GFK formulierte als erstes internationales Instrument eine allgemeine, internationale Definition des Flüchtlingsbegriffs und regelt wichtige Statusrechte der Flüchtlinge, welche die Aufenthaltsstaaten zu gewährleisten haben.
Art. 1 Bst. A Abs. 2 GFK definiert den Begriff "Flüchtling" - der letztlich für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der GFK bzw. der sich aus ihr ergebenden Verpflichtungen entscheidend ist - als jede Person, die sich "aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung ausserhalb ihres Heimatlandes befindet und dessen Schutz nicht beanspruchen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht beanspruchen will".
Bedürfen Flüchtlinge aufgrund veränderter Umstände im Herkunftsland oder aufgrund des Erwerbs der Nationalität eines anderen Staates nicht länger des internationalen Schutzes, sind die Bestimmungen der GFK nicht mehr auf sie anwendbar (Art. 1 Bst. C GFK). Vom Schutz der GFK ausgeschlossen sind Personen, die anderweitig Schutz gefunden haben (Art. 1 Bst. D und E GFK) oder als schutzunwürdig betrachtet werden (Art. 1 Bst. F GFK).
Eines der Kernelemente des Flüchtlingsrechts ist der in Art. 33 GFK verankerte Grundsatz des
Non-Refoulement. Danach dürfen Flüchtlinge nicht in ein Land ausgewiesen oder abgeschoben werden, wo ihr Leben oder ihre Freiheit gefährdet wäre. Dieses Verbot impliziert, dass bei Flüchtlingen bzw. Personen, die Flüchtlinge sein könnten, jeweils zu prüfen ist, ob eine Rückführung in den Heimat- oder Herkunftsstaat zulässig ist. Ist die Flüchtlingseigenschaft zu bejahen, liegt aber ein Asylausschlussgrund vor, ist der Aufenthalt der jeweiligen Person zu dulden, wenn die Voraussetzungen für Art. 33 GFK erfüllt sind, es sei denn, ein
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anderer Staat, in dem sie vor Verfolgung und Abschiebung sicher ist, ist zu ihrer Aufnahme bereit.
Das Prinzip des Non-Refoulement gilt jedoch nicht absolut. Art. 33 Abs. 2 GFK behält es den Staaten vor, einen Flüchtling trotz drohender Verfolgung auszuweisen, wenn er eine Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmestaates oder eine Bedrohung für die Gemeinschaft dieses Landes darstellt sowie in Fällen, in denen der Flüchtling wegen besonders schwerer Verbrechen verurteilt worden ist.
Hält sich ein Flüchtling rechtmässig - wobei die Rechtmässigkeit grundsätzlich nach dem nationalen Recht des jeweiligen Staates zu beurteilen ist - in einem Vertragsstaat auf, so darf er nur aus Gründen der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden (Art. 32 Abs. 1 GFK), und ihm stehen bestimmte Verfahrensrechte zu (Art. 32 Abs. 2 GFK), die letztlich denjenigen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK)
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Ist eine Person gemäss der GFK als Flüchtling anzusehen, sind ihr im Aufnahmestaat eine Reihe von Rechten zuzugestehen, welche zumindest denjenigen von anderen Ausländern entsprechen sollten, die sich legal im Aufnahmestaat aufhalten (Art. 7 Abs. 1 GFK), bei gewissen Rechten garantiert die GFK Inländergleichbehandlung (z.B. Art. 14 Urheberrecht oder Art. 29 Steuern). Darüber hinaus und unabhängig von anderen Ausländern eingeräumten Rechten sind Flüchtlingen im Sinne der GFK nach den einschlägigen Vorgaben der GFK im Zufluchts- bzw. Aufenthaltsstaat bestimmte Rechte zu gewähren. Zu erwähnen sind etwa der Schutz des Eigentums (Art. 13 und 14 GFK), der (einschränkbare) Anspruch auf Zugang zur Erwerbstätigkeit (Art. 17 ff. GFK), der Anspruch auf (Primar-) Schulunterricht
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für Flüchtlingskinder (Art. 22 Abs. 1 GFK), gewisse soziale Ansprüche (Art. 20 ff.) sowie der Anspruch auf einen Ausweis (Art. 28 GFK). Die Garantien der GFK sind als Mindeststandards anzusehen, so dass weitergehende (z.B. menschenrechtliche) Garantien dadurch nicht berührt werden (Art. 5 GFK).
Das Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft wird von der GFK nicht geregelt; die Staaten können geeignete verfahrensrechtliche Bestimmungen erlassen.
Als Leitfaden hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) diverse Materialien zum Asylverfahren bzw. zum Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erarbeitet. So befasste sich das UNHCR-Exekutivkomitee erstmals 1977 mit den Grundanforderungen an nationale (Asyl-) Verfahren und empfahl dabei gewisse Mindeststandards:
"i) Der zuständige Beamte (z. B. Einwanderungsbehörde oder Grenzpolizei), an den sich der Antragstellende an der Grenze oder im Gebiet eines Vertragsstaates wendet, sollte klare Anweisungen darüber haben, wie er Fälle behandeln soll, die in den Bereich der relevanten internationalen Vertragswerke fallen könnten. Er sollte dazu verpflichtet sein, nach dem Grundsatz des Non-Refoulement zu handeln und solche Fälle an eine übergeordnete Dienststelle zu verweisen.
ii) Der Antragsteller sollte die nötigen Hinweise über die Art des einzuhaltenden Verfahrens erhalten.
iii) Es sollte die eindeutige Zuständigkeit einer Behörde gegeben sein - möglichst einer einzigen zentralen Behörde -, die für die Bearbeitung von Anträgen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und für die Entscheidung in der ersten Instanz zuständig ist.
iv) Dem Antragsteller sollten die nötigen Hilfen zur Verfügung gestellt werden, einschliesslich der Dienste eines sachkundigen Dolmetschers, um seinen Fall dem
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zuständigen Amt vorzutragen. Antragstellern sollte ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden, über die sie auch ordnungsgemäss informiert werden sollten, mit einem Vertreter von UNHCR Kontakt aufzunehmen.
v) Wenn der Antragsteller als Flüchtling anerkannt wird, sollte er entsprechend informiert und ihm Dokumente ausgehändigt werden, die seinen Flüchtlingsstatus bescheinigen.
vi) Wenn der Antragsteller nicht anerkannt wird, sollte ihm eine angemessene Frist eingeräumt werden, in der er eine formelle Überprüfung der Entscheidung beantragen kann, entweder bei derselben oder bei einer anderen Behörde, sei es eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht, je nach dem vorherrschenden Rechtssystem.
vii) Es sollte dem Antragsteller gestattet werden, bis zu einer Entscheidung über seinen ersten Antrag durch das in Abs. iii) genannte zuständige Amt im Land zu bleiben, es sei denn, dass das zuständige Amt bereits festgestellt hat, dass sein Antrag eindeutig missbräuchlich ist. Es sollte ihm ebenfalls gestattet werden, im Land zu bleiben, solange eine Berufung bei einer höheren Verwaltungsbehörde oder den Gerichten anhängig ist."
1979 nahm der UNHCR das Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
4 an, welches den nationalen Behörden bei der Behandlung von Asylgesuchen als praktischer Leitfaden dienen soll. Das Handbuch enthält detaillierte Ausführungen zu den einzelnen Bestimmungen der GFK sowie zu den Methoden zur Sachverhaltsfeststellung und zu den Beweisanforderungen.
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1 | Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, LGBl. 1956 Nr. 15. |
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2 | Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, LGBl. 1986 Nr. 75. |
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3 | Kovention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, LGBl. 1982 Nr. 60/1. |
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4 | Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom September 1979. |
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