Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2012 / 138
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Kon­text
3.Der Oslo-Pro­zess und die Ver­ab­schie­dung des Übe­rein­kom­mens über Streu­mu­ni­tion (CCM)
4.Inhalt und Aufbau des Übe­rein­kom­mens über Streumunition
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Artikeln
6.Ände­rung des Gesetzes vom 10. Dezember 2008 über die Ver­mitt­lung von und den Handel mit Kriegsmaterial
7.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit/Rechtliches
8.Per­so­nelle, finan­zi­elle, orga­ni­sa­to­ri­sche und räum­liche Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lage
Grüner Teil
 
Bericht und Antragder Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Ratifikation des Übereinkommens vom 3. Dezember 2008 über Streumunition sowie die Änderung des Kriegsmaterialgesetzes
 
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Der vorliegende Bericht und Antrag bezieht sich auf die Ratifikation des Übereinkommens über Streumunition (Convention on Cluster Munitions, CCM). Das Übereinkommen wurde durch die internationale Konferenz von Dublin am 30. Mai 2008 verabschiedet und von Liechtenstein am 3. Dezember 2008 in Oslo unterzeichnet.
Das Übereinkommen statuiert ein umfassendes Verbot der Verwendung, Entwicklung und Produktion, des Erwerbs, Transfers und der Lagerung von Streumunition, und schliesst weiter auch jede Handlung aus, die die genannten Tätigkeiten unterstützt oder fördert.
Die Entwicklung und der Einsatz von Streumunition reichen zurück in den Zweiten Weltkrieg, wobei seitdem vor allem die weitreichenden Folgen des Einsatzes in Südostasien in den 1960er- und 1970er-Jahren (Laos und Vietnam) in der breiten Weltöffentlichkeit Aufsehen erregten. Während der letzten zwanzig Jahre kam Streumunition im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen in grösserem Ausmass unter anderem in Irak und Kuwait (1991), im ehemaligen Jugoslawien (1999), in Afghanistan (2001/2002), im Irak (2003) sowie im Libanon (2006) zum Einsatz. Weiter liegen Hinweise auf den Einsatz von Streumunition in Georgien (2008) und in Sri Lanka (2008/2009) vor. Bei sämtlichen Einsätzen wurde vor allem die hohe Blindgängerrate als folgenschweres humanitäres Problem erkannt, da nicht explodierte Geschosse auch nach Ende des Konfliktes noch über Jahre hinweg zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung als auch unter den Mitgliedern internationaler Operationen fordern und im Rahmen der Konfliktnachsorge erhebliche Hindernisse beim Wiederaufbau des Landes darstellen.
Das Übereinkommen sieht nicht nur die blosse Beschränkung des Einsatzes von Streumunition vor, sondern stellt diese Waffengattungen mit Rücksicht auf die mit deren Einsatz verbundenen gravierenden humanitären Auswirkungen unter ein umfassendes Verbot. Dabei nehmen auch die Bestimmungen über die internationale Zusammenarbeit und Hilfe eine wichtige Stellung ein; die Vertragsstaaten verpflichten sich zu gegenseitiger Unterstützung bei der Vernichtung von Lagerbeständen, der Räumung und der Opferhilfe. Ausserdem sind regelmässige Berichte der Vertragsparteien über die von ihnen getroffenen Massnahmen zur Um-
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setzung des Übereinkommens vorgesehen sowie Massnahmen zur Schlichtung bei Streitigkeiten unter dem Übereinkommen. Schliesslich sind die Staaten nicht nur verpflichtet, Massnahmen zur Durchsetzung des Übereinkommens auf nationaler Ebene zu treffen, sondern auch Anstrengungen zu unternehmen, welche zur Universalisierung des Übereinkommens beitragen. Das Übereinkommen über Streumunition folgt im Geist dem Übereinkommen vom 18. September 1997 über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung (Ottawa-Übereinkommen), welches für Liechtenstein am 1. April 2000 in Kraft getreten ist.
Bis zum heutigen Zeitpunkt (Stand November 2012) haben weltweit 111 Staaten das Übereinkommen unterzeichnet, 77 Staaten haben das Übereinkommen ratifiziert. Für die ersten 30 ratifizierenden Staaten trat das Übereinkommen am 1. August 2010 in Kraft, für die übrigen Staaten tritt das Übereinkommen jeweils 6 Monate nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Kraft.
Der Handel mit Kriegsmaterial unterliegt dem Zollvertrag. Daher kommen soweit die Herstellung, Ein-, Aus- und Durchfuhr betroffen sind, die schweizerischen Rechtsvorschriften, insbesondere das Bundesgesetz über das Kriegsmaterial (SR 514.51) zur Anwendung. Liechtenstein verfügt in diesem Bereich über keine eigenen Rechtsvorschriften. Die Vermittlungstätigkeit sowie der Handel von Liechtenstein aus ausserhalb des liechtensteinisch-schweizerischen Zollgebiets sind hingegen nicht Gegenstand des Zollvertrags, da diese als Dienstleistungserbringung gelten und als solche vom Zollvertrag nicht erfasst werden. Liechtenstein hat deshalb die Vermittlungstätigkeit eigenständig geregelt und zu diesem Zweck das Gesetz über die Vermittlung von und den Handel mit Kriegsmaterial (Kriegsmaterialgesetz; KMG; LGBl. 2009 Nr. 39) geschaffen.
Die Schweiz hat das Streumunitionsübereinkommen am 17. Juli 2012 ratifiziert. Zur Umsetzung des Übereinkommens wurde eine Änderung des Schweizer Kriegsmaterialgesetzes beschlossen, welche es verbietet, Streumunition zu entwickeln, herzustellen, zu vermitteln, zu erwerben, jemandem zu überlassen, ein-, aus-, durchzuführen, zu lagern oder anderweitig über sie zu verfügen. Diese Bestimmung wird über den Zollvertrag auch auf Liechtenstein anwendbar werden. Davon ausgenommen ist nur das Verbot der Vermittlungstätigkeit, da die Vermittlung nicht vom Zollvertrag erfasst wird. Liechtenstein muss das Verbot der
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Vermittlung von Streumunition deshalb autonom umsetzen. Dies soll wie bereits bei den ABC-Waffen sowie Antipersonenminen über das Gesetz über die Vermittlung von und den Handel mit Kriegsmaterial geschehen. Um ein Regelungsgefälle zur Schweiz zu verhindern, schlägt die Regierung vor, analog zur Schweiz mit den neuen Art. 7b und 7c KMG und der entsprechenden Strafbestimmung unter Art. 29b KMG ein ausdrückliches Verbot sowohl der direkten als auch der indirekten Finanzierung von verbotenem Kriegsmaterial in das Kriegsmaterialgesetz aufzunehmen.
Das Kriegsmaterialgesetz muss aus rechtssystematischen Gründen gleichzeitig mit dem Übereinkommen über Streumunition vom 30. Mai 2008 in Kraft treten. Das Übereinkommen über Streumunition als völkerrechtlicher Vertrag wird gemäss der bestehenden Praxis in einer einzigen Landtagssitzung behandelt. Daher erachtet es die Regierung als zweckdienlich, dass der Hohe Landtag diese Vorlage abschliessend - d.h. sowohl in erster als auch in zweiter und dritter Lesung - in Behandlung zieht, damit ein gleichzeitiges und zeitnahes Inkrafttreten möglich ist.
Zuständige Ressorts
Ressort Äusseres
Ressort Finanzen
Betroffene Amtsstellen
Stabsstelle Financial Intelligence Unit (FIU)
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Landespolizei
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Vaduz, 20. November 2012
RA 2012/2280 P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Ratifikation des Übereinkommens vom 3. Dezember 2008 über Streumunition sowie die Änderung des Kriegsmaterialgesetzes zu unterbreiten.
1.1Streumunition
Bei Streumunition (engl. cluster munitions) handelt es sich um einen Munitionstyp, welcher nach dem Abfeuern eines sog. Muttergeschosses eine unterschiedliche Anzahl an Tochtergeschossen (Submunitionen, Bomblets) verstreut, um ein Ziel flächendeckend zu bekämpfen. Die Anzahl von Tochtergeschossen kann je nach Typ zwischen einigen wenigen bis mehreren hundert oder gar über tausend Stück variieren. Der Einsatz von Streumunition kann dabei sowohl aus der Luft durch Bomben oder an Flugzeugen befestigten Kanistern als auch am Boden durch Artilleriegeschosse, Raketen und Lenkwaffen erfolgen. Die Tochterge-
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schosse explodieren je nach Auslösemechanismus vor, bei oder nach ihrem Aufschlag. Diese Geschosse können innerhalb kürzester Zeit eine Fläche von mehreren Hektar bombardieren; dies mit derselben Wirkung wie konventionelle Munition, jedoch mit weitaus weniger Schüssen und innert kürzerer Zeit. Streumunition wird insbesondere eingesetzt, um die Bewegungsfreiheit von Panzerformationen oder feindlichen Truppen einzuschränken und um Strassen und Landepisten zu zerstören. Im Gegensatz zu Personenminen setzen sowohl die Herstellung als auch der Einsatz von Streumunition eine komplexe Technologie voraus, was entsprechend mit höheren Kosten verbunden ist.
Weltweit existieren zahlreiche Typen von Streumunition und Submunitionsarten: Konventionelle Sprengmittel, Hohlladungen, Fahrzeug- und Personenminen, sowie weitere Sprengmittel zur Bekämpfung von Zielen mittels Detonation und/oder Splittern.
Darüber hinaus existieren verwandte Submunitionen wie Brandbeschleuniger oder Behälter mit biologischen oder chemischen Kampfstoffen. Ebenso existieren Muttergeschosse, welche nichtexplosive Tochtergeschosse ausstossen können. Auf all diese Munitionsarten wird nicht eingegangen, da sie nicht Gegenstand des Übereinkommens sind.
Für den Einsatz von Streumunition müssen Geräte mit einem gewissen technischen Standard zur Verfügung stehen (Luftfahrzeuge, Artilleriegeschütze, Raketen etc.). Daher erfolgt der Einsatz in der Regel vornehmlich durch reguläre Streitkräfte oder hochgerüstete nichtstaatliche Akteure.
Nahezu 70 Staaten in allen Teilen der Welt lagern Submunitionen in ihren Arsenalen.
Entwicklung und Einsatz von Streumunition reichen zurück bis in den Zweiten Weltkrieg, wo sie vor allem in Zusammenhang mit der Bombardierung von Städ-
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ten zum Einsatz kam. Seither wurde sie in zahlreichen Konflikten eingesetzt, wobei die massiven Einsätze von Streumunition während der 1960er- und 1970er-Jahre in Südostasien (Laos und Vietnam) zu den bekanntesten gehören. Während der letzten zwanzig Jahre sind Einsätze mit Streumunition im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen in grösserem Ausmass u.a. in Irak / Kuwait (1991), in der Bundesrepublik Jugoslawien (1999), Afghanistan (2001/2002), Irak (2003) sowie im Libanon (2006) dokumentiert. Weiter liegen Hinweise auf den Einsatz von Streumunition in Georgien (2008) und in Sri Lanka (2008/2009) vor.
Der wiederholte Einsatz von Streumunition während der letzten zwanzig Jahre zeigt, dass diese Munitionsart unter regulären Streitkräften heute teilweise in grossen Mengen verbreitet ist. Weltweit sollen gemäss Berichten von Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations, NGOs) rund 75 Armeen über Streumunition verfügen; etwa 30 Staaten sollen diese selbst (teilweise oder ganz) produziert haben; mindestens ein Dutzend Staaten weltweit exportieren Streumunition, und mindestens 16 Staaten haben diese seit dem Zweiten Weltkrieg in rund 30 Ländern und Regionen bereits eingesetzt.1
Soweit bekannt, wurden während der genannten Konflikte die unterschiedlichsten Arten von Streumunition eingesetzt. Aufgrund der grossen Lagerbestände kam es dabei auch im Rahmen der jüngeren Konflikte mitunter zum Einsatz von relativ alter Munition. So wurde zum Beispiel 2006 im Konflikt im Südlibanon Streumunition des Typs eingesetzt, der im Vietnamkrieg benutzt worden war. Damit wurde der Zivilbevölkerung nicht nur während den Angriffen Schaden zugefügt, sondern es sind weiter Tausende dieser Submunitionen nicht wie vorgesehen explodiert und kontaminieren damit auch heute noch grosse Gebiete. Erst nach dem Ende der Feindseligkeiten in Israel und im Libanon im August 2006
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gelang es, das Problem der Streumunition wieder auf die internationale Abrüstungsagenda zu setzen.
Das am stärksten in Mitleidenschaft gezogene Land ist nach wie vor Laos. Schätzungen zufolge beträgt die Anzahl der während des Vietnamkriegs in Laos abgefeuerten Submunitionen mehr als 260 Millionen, von denen 78 Millionen nicht explodiert sind. Mithin waren damit bis zu 30 % dieser Submunitionen Blindgänger. Deren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sind auch heute, fast 40 Jahre nach der Einstellung der Feindseligkeiten, noch zu spüren.



 
1Siehe A Guide to Cluster Munitions, 2. Auflage, Genfer Internationales Zentrum für humanitäre Minenräumung (GICHD), Genf, 2009, S. 20.
 
LR-Systematik
0..5
0..51.5
5
51
514
LGBl-Nummern
2013 / 197
2013 / 196
Landtagssitzungen
20. Dezember 2012
Stichwörter
Kriegs­ma­te­ri­al­ge­setz, Abänderung
Streu­mu­ni­tion, Übereinkommen
Übe­rein­kommen über Streumunition