Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2012 / 6
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Anlass und Not­wen­dig­keit der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bestimmungen
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
7.Räum­liche, orga­ni­sa­to­ri­sche, finan­zi­elle und per­so­nelle Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Änderungen des Römer Statuts des internationalen Strafgerichtshofs vom 10. und 11. Juni 2010
 
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Das Römer Statut bildet die rechtliche Grundlage für den ständigen Internationalen Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag und ist im Juli 2002 in Kraft getreten (LGBl. 2002 Nr. 90). Das Statut überträgt dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) die Zuständigkeit zur Strafverfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen der Aggression. Die Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression war jedoch bislang nur grundsätzlicher Natur, da das Römer Statut noch keine Definition des Verbrechens sowie der Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit enthielt.
An der ersten Überprüfungskonferenz des Römer Statuts des IStGH, die im Juni 2010 in Kampala (Uganda) unter liechtensteinischem Vorsitz stattfand, einigten sich die Vertragsparteien auf die Definition des Verbrechens der Aggression sowie die Bedingungen zur Ausübung der Gerichtsbarkeit. Der historischen Kompromisslösung gingen jahrelange Verhandlungen voraus, die ab 2003 von Botschafter Christian Wenaweser geleitet wurden. Gemäss diesem Kompromiss kann die Führungsriege eines Staates für das Auslösen von bewaffneter Gewalt gegen die Souveränität, territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates vor dem IStGH zur Verantwortung gezogen werden, sofern die Gewaltanwendung die Charta der Vereinten Nationen offenkundig verletzt, und sofern diverse prozedurale Voraussetzungen gegeben sind.
Ausserdem wurde an der Überprüfungskonferenz beschlossen, die Verwendung bestimmter Waffengattungen, deren Einsatz in internationalen Konflikten Kriegsverbrechen darstellen können, auch in nicht-internationalen Konflikten unter Strafe zu stellen.
Die Änderungen des Römer Statuts betreffend das Verbrechen der Aggression sowie betreffend die verbotenen Waffengattungen bedürfen der Ratifikation durch die Vertragsstaaten.
Mit Beschluss vom 18. August 2010 entschied die Regierung, diese Änderungen des Römer Statuts baldmöglichst zu ratifizieren, da eine frühzeitige Ratifikation durch Liechtenstein nicht nur symbolische Bedeutung, sondern auch eine wichtige Signalwirkung für das Verständnis und die Akzeptanz des in Kampala beschlossenen Kompromisses hat. Zudem stellt die rasche Ratifikation eine logische Fortset-
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zung des liechtensteinischen Engagements im Bereich des Völkerrechts und der Förderung der Rechtsstaatlichkeit auf internationaler Ebene dar.
Gleichzeitig wird die Kompromisslösung mit jeder Ratifikation der Änderungen des Römer Statuts bestätigt und andere Staaten werden zur Ratifikation angehalten. Für die Aktivierung der Gerichtsbarkeit des IStGH zum Verbrechen der Aggression sind insgesamt 30 Ratifikationen notwendig.
Die innerstaatliche Umsetzung der Änderungen des Römer Statuts bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die in einem separaten Bericht und Antrag dem Landtag unterbreitet wird. Dabei handelt es sich einerseits um eine geringfügige Anpassung des Gesetzes betreffend die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und anderen Internationalen Gerichten (ZIGG). Diese Anpassung kann nach der Ratifikation der Statutsänderungen betreffend das Verbrechen der Aggression vorgenommen werden, da die Kooperationspflicht mit dem IStGH zum Verbrechen der Aggression frühestens 2017 aktiviert wird. Andererseits geht es um die Frage der Anpassung des Strafgesetzbuches (StGB) in Bezug auf das Verbrechen der Aggression sowie auf die Ausweitung des Verbots bestimmter Waffengattungen auf nicht-internationale Konflikte. Diese Fragen werden im Zusammenhang mit der geplanten und bereits in Koordination mit den österreichischen Behörden vorzunehmenden Anpassung des Strafgesetzbuches zu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter geklärt.
Es entstehen weder räumliche, organisatorische, personelle noch direkte finanzielle Auswirkungen.
Zuständige Ressorts
Ressort Äusseres
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Liechtensteinische Mission bei der UNO in New York, Rechtsdienst der Regierung
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Vaduz, 14. Februar 2012
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag den nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Änderungen des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 10. und 11. Juni 2010 zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Im Juni 2010 fand in Kampala (Uganda) die erste Überprüfungskonferenz des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) statt. Im Mittelpunkt stand der Abschluss der Verhandlungen zum Verbrechen der Aggression, welche seit 2003 von der liechtensteinischen Delegation geleitet wurden. Die Überprüfungskonferenz selbst stand ebenfalls unter liechtensteinischem Vorsitz, da der liechtensteinische Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, Christian Wenaweser, die Präsidentschaft der Vertragsstaaten für die Periode 2008 bis 2011 innehatte.
An der Überprüfungskonferenz konnten sich die Vertragsstaaten des IStGH darauf einigen, den im Statut befindlichen Platzhalter zum Verbrechen der Aggressi-
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on mit Inhalt zu füllen. Die Definition des Verbrechens der Aggression umfasst demnach im Wesentlichen das Auslösen von bewaffneter Gewalt gegen die Souveränität, territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates, sofern die Gewaltanwendung die Charta der Vereinten Nationen offenkundig verletzt. Die Strafbarkeit ist dabei auf Personen beschränkt, die im angreifenden Staat politisch oder militärisch führend sind. Diese Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich konsensbasiert: Nicht-Vertragsstaaten des Römer Statuts sind von der Gerichtsbarkeit ausgeschlossen, und Vertragsstaaten können sich dieser durch eine Opt-out-Erklärung entziehen.
Im Falle eines Verweises einer Situation durch den UNO-Sicherheitsrat an den IStGH ist die Gerichtsbarkeit jedoch unbeschränkt. Zusätzlich muss die Gerichtsbarkeit noch frühestens 2017 von den Vertragsstaaten in einem weiteren Beschluss aktiviert werden, und es müssen mindestens 30 Ratifikationen erreicht werden.
Die Resolution, mit welcher die Statutsänderungen angenommen wurden (Resolution RC/Res. 6, abgedruckt in Beilage 3 und offiziell publiziert in Review Conference Official Records, RC/11, part II, Seite 17), enthält zudem in Annex II die sogenannten Elemente des Verbrechens der Aggression (im Wesentlichen Detailbestimmungen zu den subjektiven Tatbestandsmerkmalen "Vorsatz" und "Wissen") sowie in Annex III eine Reihe von sogenannten "Understandings" (im Wesentlichen detailliertere Aussagen der Vertragsstaaten zur Interpretation der Statutsänderungen, u.a. betreffend der zeitlichen Gerichtsbarkeit, der Auswirkungen auf die innerstaatliche Rechtslage, sowie der Definition des Verbrechens der Aggression).
Dieser Beschluss ist als historisch zu werten, da über sechzig Jahre nach den Tribunalen von Nürnberg und Tokio die für die schwersten Formen illegaler Gewaltanwendung zwischen Staaten verantwortlichen politischen und militärische An-
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führer in Zukunft mit strafrechtlicher Verfolgung auf internationaler Ebene rechnen müssen.
Bei der Verhandlung des Römer Statuts im Jahre 1998 war sich die Staatengemeinschaft uneinig darüber, ob das Verbrechen der Aggression als eines der zu verfolgenden Hauptverbrechen ins Römer Statut aufgenommen werden soll. Die Schwere des Verbrechens, das bereits in den Nürnberger Prozessen eine zentrale Rolle spielte, stand ausser Frage. Strittig waren jedoch die Verbrechensdefinition und die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit, insbesondere die Rolle des UNO-Sicherheitsrats bei der Entscheidung darüber, ob ein Akt der Aggression vorliegt. Insbesondere die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats waren der Auffassung, dass der IStGH nur mit Zustimmung des Sicherheitsrats im Zusammenhang mit einem solchen Verbrechen tätig werden dürfe. Für die meisten anderen Staaten war dies mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit des IStGH sowie den Grundsätzen eines fairen Strafverfahrens nicht zu vereinbaren. Diese und zahlreiche weitere komplexe völkerrechtliche und machtpolitische Fragen mussten im Verhandlungsprozess gelöst werden.
An der Römer Konferenz selbst war es lediglich gelungen, das Verbrechen der Aggression grundsätzlich in das Statut aufzunehmen, sowie einen weiteren Verhandlungsprozess über die ausstehenden Fragen (Definition, Bedingungen der Gerichtsbarkeit) in die Wege zu leiten. In der ersten Verhandlungsphase im Rahmen des IStGH-Vorbereitungsausschusses (ICC PrepComm, 1999 - 2002) wurden nur geringfügige Fortschritte erzielt. Ein erster Durchbruch kam mit der Sonderarbeitsgruppe zum Verbrechen der Aggression, die von 2003 bis 2009 unter liechtensteinischem Vorsitz tagte, und sich im Februar 2009 überraschend auf die Definition des Verbrechens der Aggression einigte. In der letzten Phase, von Juni 2009 bis zum Abschluss der Revisionskonferenz im Juni 2010 in Kampala (Uganda), konnten die verbliebenen erheblichen Differenzen zu den Bedingun-
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gen der Gerichtsbarkeit und insbesondere zur Rolle des UNO-Sicherheitsrates überbrückt werden. Mit dem Kompromiss von Kampala lösten die Vertragsstaaten das Versprechen von Rom ein, die Aggressionsbestimmungen des Römer Statuts zu Ende zu verhandeln.
Das Ergebnis ist in verschiedener Hinsicht restriktiv ausgefallen: Nicht jede Form der völkerrechtswidrigen Gewaltanwendung (Aggression) wird der IStGH-Jurisdiktion unterstellt, sondern nur deren massivste Erscheinungsformen und wenn sie offenkundig gegen die UNO-Charta verstösst. Dies ist rechtspolitisch durchaus vertretbar und entspricht in dieser Form auch am ehesten diversen völkerrechtlichen Vorläufern, wie etwa Resolution 3314 (XXIX) der UNO-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974, welche lediglich Aggressionskriege als strafbar betrachtete.
Bei den Bedingungen der Ausübung der Gerichtsbarkeit mussten auch machtpolitische Kompromisse eingegangen werden, die den Anwendungsbereich des Verbrechens der Aggression im Vergleich zu den drei anderen Kernverbrechen deutlich einschränken: Sofern eine IStGH-Untersuchung zum Verbrechen der Aggression nämlich nicht durch den UNO-Sicherheitsrat mandatiert ist, beruht die IStGH-Gerichtsbarkeit auf dem Konsensprinzip. Das bedeutet, dass Nicht-Vertragsstaaten gänzlich ausgenommen sind und weder als Opfer- noch als Angriffsstaat unter die IStGH-Gerichtsbarkeit fallen. Zudem können sich Vertragsstaaten durch eine Opt-out-Erklärung der Gerichtsbarkeit entziehen. Lediglich im Fall von Sicherheitsratsverweisen kann der Gerichtshof grundsätzlich weltweit Aggressionsverbrechen verfolgen, wie dies auch bei den drei anderen Kernverbrechen (Genozid, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) der Fall ist.
Trotz dieser Einschränkungen ist die Einigung über die Definition des Verbrechens der Aggression, verbunden mit der für 2017 zu erwartenden Aktivierung
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der IStGH-Gerichtsbarkeit, ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit auf internationaler Ebene. Die Gewaltausübung zwischen Staaten wird dadurch der strafrechtlichen Kontrolle auf internationaler Ebene unterstellt. Zudem ist zu erwarten, dass zahlreiche Vertragsstaaten die Definition der Aggression in das innerstaatliche Strafrecht aufnehmen werden, wodurch völkerrechtswidrige Gewaltanwendung bereits auf innerstaatlicher Ebene verhindert werden kann bzw. der innerstaatlichen gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
Der Erfolg von Kampala stellte unter Beweis, dass ein Kleinstaat wie Liechtenstein, insbesondere durch Vorsitzfunktionen, im internationalen System wichtige Beiträge zur Wahrung von Frieden und Sicherheit leisten kann.
Die Überprüfungskonferenz nahm zudem auch Änderungen an Artikel 8 des Römer Statuts vor, welcher die Definition von Kriegsverbrechen betrifft. Es wurde beschlossen, die Verwendung bestimmter Waffengattungen (zum Beispiel Teilmantelgeschosse) in nicht-internationalen Konflikten als Kriegsverbrechen zu definieren. Diese Waffengattungen waren bereits bisher in internationalen Konflikten strafbar, sodass es sich lediglich um die Ausweitung eines bereits existierenden Tatbestandes handelt. Diese Änderung war daher weit weniger umstritten als die Änderungen zum Verbrechen der Aggression.
Landtagssitzungen
22. März 2012
Stichwörter
Inter­na­tio­naler Straf­ge­richtshof, Abän­de­rung des Römer Statuts
Römer Statut des Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richts­hofes, Abän­de­rung betr. Ver­bre­chen der Aggression
Römer Statut des Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richts­hofes, Abän­de­rung betr. Ver­wen­dung bes­timmter Waffengattungen
Straf­ge­richtshof, Inter­na­tio­naler, Abän­de­rung des Römer Statuts