Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Übereinkommen über die Beteiligung der Republik Kroatien am Europäischen Wirtschaftsraum und das Gesetz betreffend die vorläufige Anwendung des Übereinkommens
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Am 1. Juli 2013 wurde die Europäische Union (EU) und damit ihr Binnenmarkt um die Republik Kroatien erweitert. Zur Gewährleistung der Homogenität des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) mit den entsprechenden Binnenmarktbestimmungen der Europäischen Union (EU) ist eine (parallele) Erweiterung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (EWRA) um dieses neue EU-Mitglied erforderlich. Artikel 128 EWRA sieht dies ausdrücklich vor.
Die Verhandlungen zum Übereinkommen über die Beteiligung der Republik Kroatien am EWR wurden unter liechtensteinischem EWR/EFTA-Vorsitz formell im März 2013 eröffnet, dauerten wegen norwegischen Positionen zum Finanzierungsmechanismus und isländischen Forderungen im Fischereibereich jedoch länger als ursprünglich erwartet. Die erforderlichen Abkommenstexte konnten erst am 20. Dezember 2013 von den Verhandlungsleitern paraphiert werden. Die Resultate in den verschiedenen Verhandlungsbereichen (Finanzbeiträge der EWR/EFTA-Staaten, Fisch/Meeresprodukte, Landwirtschaft und Personenverkehr) berücksichtigen die liechtensteinischen Interessen. Im Bereich Personenverkehr ist es Liechtenstein weiterhin gestattet, den Zuzug von EWR-Staatsangehörigen nach Liechtenstein im Sinne der bestehenden Quotenregelung zu begrenzen. In den Verhandlungen konnte ausserdem erreicht werden, dass die Verlängerung der Personenverkehrslösung zusätzlich durch eine in der Schlussakte aufgeführte gemeinsame Erklärung "vorgespurt" wurde.
Finanzielle Konsequenzen ergeben sich für Liechtenstein ausschliesslich aus der Beteiligung an den Finanzbeiträgen der EWR/EFTA-Staaten. Für die verbleibende Laufzeit des EWR-Finanzierungsmechanismus, also bis zum 30. April 2014, sollen fünf Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Da das Geld für den Zeitraum ab EU-Beitritt Kroatiens gesprochen wurde (1. Juli 2013), sind zehn Monate umfasst, was umgerechnet einem prozentualen Anteil für Kroatien am EWR-Finanzierungsmechanismus von 3.03 % entspricht. Die für Liechtenstein anfallen-de Beteiligung an den Kosten richtet sich nach dem EFTA-internen Verteilschlüssel. Der Anteil Liechtensteins im Jahr 2013 belief sich auf 1.23 %, sodass daraus eine neue Finanzverpflichtung für den Zeitraum 1. Juli 2013 - 30. April 2014 von 62'000 Euro resultiert. Bei einem angenommenen Wechselkurs von 1.3 entspricht
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dies 80'600 Franken. Die Regierung beantragt daher die Genehmigung eines entsprechenden Finanzbeschlusses.
Um Kroatien überhaupt zu ermöglichen, in den Genuss der vereinbarten Gelder im Rahmen des bestehenden Finanzierungsmechanismus (2009-2014) zu kommen, ist zudem vorzusehen, dass das EWR-Erweiterungsabkommen spätestens in der zweiten Märzhälfte 2014 unterzeichnet und gleich danach auch provisorisch angewendet werden kann. Im Unterschied zur Situation in den meisten anderen Vertragsparteien des EWRA ist die Erklärung zur provisorischen Anwendung eines internationalen Vertrags, welcher der Ratifikation und vorher der Zustimmung des Landtags unter Einschluss eines möglichen Referendums bedarf, in der liechtensteinischen Verfassung nicht vorgesehen. Daher soll die Regierung durch ein spezielles Gesetz ermächtigt werden, nach einer Zustimmung des Landtags zum Übereinkommen über die Beteiligung der Republik Kroatien am EWR die provisorische Anwendung des Übereinkommens noch während der Referendumsfrist zu genehmigen. Das Gesetz soll für dringlich erklärt werden, weil es dem Landtag in derselben Sitzung wie das Übereinkommen unterbreitet wird. Die provisorische Anwendung des Übereinkommens soll insofern beschränkt sein, als sie nur so lange Gültigkeit haben soll, bis das Übereinkommen entweder ratifiziert ist und damit das innerstaatliche Zustimmungsverfahren abgeschlossen oder die Genehmigung zur Ratifikation gemäss Verfassung abgelehnt worden ist. Sollte es sich wider Erwarten abzeichnen, dass ein Referendum gegen das Übereinkommen ergriffen wird, könnte die Regierung von der Erklärung über die provisorische Anwendung rechtzeitig absehen.
Die Regierung bewertet die Erweiterung der EU und des EWR um die Republik Kroatien als positiv. Deren Aufnahme trägt weiter zur Stabilität Gesamteuropas bei. Der Beitritt Kroatiens stellt darüber hinaus ein wichtiges Signal an andere Staaten Südosteuropas dar, dass bei entsprechendem Reformwillen und einer Annäherung an europäische Grundwerte ein EU-Beitritt möglich ist. Für Liechtenstein bringt die Aufnahme Kroatiens in den EWR insbesondere in aussenwirtschaftlicher Sicht Verbesserungen mit sich, da die Handelsbedingungen im EWR generell noch liberaler gestaltet sind als im EFTA-Freihandelsabkommen mit Kroatien, das mit dem Beitritt Kroatiens zur EU ausser Kraft getreten ist.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Äusseres, Bildung und Kultur
Ministerium für Präsidiales und Finanzen
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Amtsstellen
Mission des Fürstentums Liechtenstein bei der Europäischen Union in Brüssel
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Stabsstelle EWR
Ausländer- und Passamt
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Vaduz, 28. Januar 2014
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Übereinkommen über die Beteiligung der Republik Kroatien am Europäischen Wirtschaftsraum und das Gesetz betreffend die vorläufige Anwendung des Übereinkommens zu unterbreiten.
Am 1. Juli 2013 wurde die Europäische Union (EU) und damit ihr Binnenmarkt um die Republik Kroatien erweitert. Zur Gewährleistung der Homogenität des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) mit den entsprechenden Binnenmarktbestimmungen der Europäischen Union (EU) ist eine (parallele) Erweiterung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (EWRA) um dieses neue EU-Mitglied erforderlich.
Gemäss Artikel 1 des EWRA ist dessen Ziel:
" ... eine beständige und ausgewogene Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter gleichen Wettbewerbsbedingungen und die Einhaltung gleicher Regeln zu fördern, um einen homogenen Europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen."
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Diese Homogenität des EWR, die eine Anpassung der nationalen Regeln der drei EFTA-Staaten an die Regeln des EU-Binnenmarktes bedingt, um Letzteren auf die Märkte der drei EFTA-Staaten auszudehnen, verlangt andererseits, dass sämtliche neuen Mitglieder der EU und damit des EU-Binnenmarktes auch am EWR teilnehmen. Ein entsprechendes Beitrittsverfahren ist in Artikel 128 EWRA geregelt.
Seit ihrer Gründung 1957 hat sich die EU in sieben sog. Erweiterungsrunden von ursprünglich sechs Mitgliedstaaten auf heute 28 erweitert. Nach Inkrafttreten des EWRA im Jahr 1994 fanden die letzten vier dieser Erweiterungen statt:
1995 traten drei EFTA-Staaten (Finnland, Österreich, Schweden) der EU bei. Dies führte nicht zu einer gleichzeitigen Erweiterung des EWR, da diese drei Staaten bereits EWR-Mitglieder waren.
Am 1. Mai 2004 wurden zehn neue Mitglieder - Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern - in die EU aufgenommen. Gleichzeitig traten diese Staaten auch dem EWRA bei (siehe dazu Bericht und Antrag Nr. 2/2004). Die Bedingungen, zu denen diese zehn Länder dem EWRA beitraten, entsprachen, soweit anwendbar, weitgehend denjenigen ihres EU-Beitritts. So wurden insbesondere die gleichen Übergangsfristen und Bedingungen der aus dem Binnenmarkt-Rechtsbestand resultierenden Verpflichtungen vorgesehen. In diesem Zusammenhang sind die gegenüber den neuen Ländern bestehenden Beschränkungen des Personenverkehrs von besonderer Bedeutung. Die spezifisch liechtensteinische Personenverkehrsregelung im EWR wurde neu formuliert und verlängert. EWR-spezifisch waren bei der Erweiterung 2004 indes die Vereinbarungen über die Finanzbeiträge der EFTA-Staaten zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten zwischen den EWR-Ländern bzw. deren Regionen sowie die Handelsbedingungen für Fisch- und andere Meereserzeugnisse zwischen Island und Norwegen einerseits und den zehn
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Beitrittsländern andererseits. Auch wenn die finanziellen Verpflichtungen der EWR/EFTA-Staaten durch das Abkommen von 2004 aufgrund der verhältnismässig armen Regionen in den Beitrittsstaaten erheblich sind, so hat sich diese grosse Erweiterung positiv ausgewirkt. Die Marktchancen in diesem ausgedehnten Binnenmarkt konnten erheblich erweitert werden, während die spezifisch liechtensteinische Personenverkehrsregelung im EWR weiterhin gültig ist.
Am 1. Januar 2007 traten Bulgarien und Rumänien der EU bei. Diese beiden Länder gehörten ursprünglich auch zur Erweiterungsrunde aus dem Jahr 2004. Wegen grösserer politischer und wirtschaftlicher Probleme kam dann für die beiden Länder aber nur dieser spätere Beitritt in Frage (siehe dazu Bericht und Antrag Nr. 104/2007).
Als neuestes Mitglied trat die Republik Kroatien am 1. Juli 2013 der EU bei. Gestützt auf das Beitrittsgesuch vom 21. Februar 2003 wurde Kroatien der offizielle Status als Beitrittskandidat der Europäischen Union am 18. Juli 2004 zuerkannt. Die EU Beitrittsverhandlungen begannen jedoch erst am 4. Oktober 2005, nachdem die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien die volle Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Tribunal bestätigt hatte - eine Grundbedingung der EU für die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen - und konnten am 30. Juni 2011 erfolgreich abgeschlossen und der Beitrittsvertrag am 9. Dezember 2011 unterzeichnet werden. Nach anfänglichen Verzögerungen konnte der Ratifikationsprozess in allen Mitgliedstaaten mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch Deutschland am 21. Juni 2013 doch noch rechtzeitig abgeschlossen werden, um das Zieldatum 1. Juli 2013 für den kroatischen Beitritt einhalten zu können.
Kroatien war das erste Beitrittskandidatenland, auf welches das nach dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens im Jahr 2007 reformierte Beitrittsverfahren angewandt wurde. Dieses neue Verfahren sieht die Erfüllung von insgesamt 35
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Verhandlungskapiteln vor, wobei Kroatien sowohl bei der Eröffnung von Verhandlungskapiteln wie auch bei deren Abschluss so genannte Benchmarks bzw. Leistungsnachweise ("track record") vorweisen musste, um zu belegen, dass Gesetze nicht nur erlassen sondern auch umgesetzt wurden. Um zu gewährleisten, dass bis zum EU-Beitritt in den Bereichen "Justiz und Grundrechte" (Vorantreiben der Justizreformen), "Justiz, Freiheit und Sicherheit" (Grenzschutz, Polizei- und Justizkooperation, Kampf gegen die organisierte Kriminalität) und "Wettbewerbsrecht" (Restrukturierung des Schiffbau- und Stahlsektors) Reformen weiter vorangetrieben werden, wurde zudem ein Überwachungsmechanismus (Monitoring) eingeführt, wonach die Kommission halbjährlich über den Fortschritt zu berichten hatte. Da Kroatien während den Verhandlungen bereits deutlich strenger bewertet wurde als die bisherigen Beitrittskandidaten und auch während des Monitorings gute Resultate lieferte, wurde schliesslich von einem Überwachungssystem ähnlich jenem für Bulgarien und Rumänien, welches auch nach dem EU-Beitritt gegolten hätte, abgesehen.
Im Unterschied zu den Verfahren entsprechen die für den EWR-Beitritt relevanten materiellen Beitrittsbedingungen jenen der Erweiterungen von 2004 bzw. 2007. Insbesondere auch die Übergangsregelungen im Personenverkehr sind identisch. Es sei hier daran erinnert, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union grundsätzlich die vollständige Übernahme der bestehenden Rechtsvorschriften der EU, dem so genannten Acquis Communautaire, zum Zeitpunkt des Beitritts bedingt.
Dies umfasst auch die Verpflichtung, bestehende Verträge der EG mit Drittstaaten zu übernehmen bzw. diesen beizutreten. Soweit es den Binnenmarkt betrifft, sind die Rechtsverpflichtungen der EU und des EWR weitgehend gleich lautend.
Das Beitrittsverfahren zum EWR ist in Artikel 128 EWRA folgendermassen geregelt:
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"1. Jeder europäische Staat, der Mitglied der Gemeinschaft wird, beantragt, und jeder europäischer Staat, der Mitglied der EFTA wird, kann beantragen, Vertragspartei dieses Abkommens zu werden. Er richtet seinen Antrag an den EWR-Rat."
"3. Die Bedingungen für eine solche Beteiligung werden durch ein Abkommen zwischen den Vertragsparteien und dem antragstellenden Staat geregelt. Das Abkommen bedarf der Ratifikation oder Genehmigung durch alle Vertragsparteien nach ihren eigenen Verfahren."