Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch
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Mit dem vorliegenden Bericht und Antrag unterbreitet die Regierung dem Land-tag das Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch.
Bisher haben 36 Staaten das Übereinkommen ratifiziert und 11 haben es unterzeichnet (Stand 9. April 2015). Liechtenstein hat das Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote Konvention) am 17. November 2008 unterzeichnet. Die Ratifikation des Übereinkommens ist ein wichtiges Anliegen der liechtensteinischen Menschenrechtspolitik, welche die Rechte von Kindern als prioritären Themenkomplex ansieht.
Das Europarats-Übereinkommen ist das erste und bislang einzige internationale Übereinkommen, welches die verschiedenen Formen sexuellen Kindsmissbrauchs umfassend für strafbar erklärt. Das Übereinkommen verfolgt das Ziel, Kinder vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch zu schützen und die Bekämpfung solcher Übergriffe zu verstärken. Im Zentrum stehen dabei die Rechte der minderjährigen Opfer und deren Schutz.
Das Übereinkommen verpflichtet zur Einführung materieller Strafbestimmungen, namentlich im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern, der Kinderprostitution, der Kinderpornographie und der Mitwirkung von Kindern an pornographischen Darbietungen. Zugleich berücksichtigt es neue Technologien und Begehungsformen von Sexualstraftaten. So muss auch das sogenannte Grooming, d.h. die Kontaktaufnahme im Internet mit dem Ziel einer sexuellen Begegnung, unter Strafe gestellt werden. Mit dem Ziel, den Kindersextourismus wirksam zu bekämpfen, sollen zudem auch bestimmte Straftaten verfolgt werden, wenn diese im Ausland begangen wurden und dort nicht strafbar sind. Zum anderen werden präventive Massnahmen vorgesehen. Die Vertragsstaaten werden namentlich dazu verpflichtet, Präventions- und Interventionsprogramme für Sexualstraftäter/-innen sowie Massnahmen bei der Rekrutierung und Weiterbildung von Personen, die in direktem Kontakt mit Kindern arbeiten, vorzusehen, Programme zur Unterstützung der Opfer bereitzustellen sowie Telefon- und Internet-Helplines für Kinder einzurichten. Weiter sieht das Übereinkommen Bestimmungen über das
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Strafverfahren vor. Hier ist insbesondere sicherzustellen, dass Kinder als Opfer im Strafprozess geschützt werden, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Identität und ihre Privatsphäre. Schliesslich behandelt das Übereinkommen die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Vertragsparteien, die schnell und effizient abzuwickeln ist.
Die liechtensteinische Rechtsordnung genügt den Anforderungen des Übereinkommens weitestgehend. Durch das neue Kinder- und Jugendgesetz, die Einführung der Strafbarkeit von juristischen Personen sowie die Anpassung des Sexualstrafrechts sind die Voraussetzungen für die Umsetzung des Übereinkommens geschaffen worden. Zur vollständigen Umsetzung muss jedoch die liechtensteinische Strafgerichtsbarkeit über Auslandstaten in § 64 Abs. 1 Ziff. 4 und 4a des Strafgesetzbuches erweitert werden. Im Rahmen der Vernehmlassung der Regierung betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches im Zuge der Ratifizierung der Lanzarote Konvention sprach sich keiner der Teilnehmer gegen die Ratifikation und die Änderung des Strafgesetzbuches aus.
Aus rechtssystematischen Gründen muss die Abänderung des Strafgesetzbuches gleichzeitig mit der Lanzarote-Konvention in Kraft treten. Die Lanzarote-Konvention als völkerrechtlicher Vertrag wird gemäss der bestehenden Praxis in einer einzigen Landtagssitzung behandelt. Daher erachtet es die Regierung als zweckdienlich, dass der Hohe Landtag diese Vorlage abschliessend - d.h. sowohl in erster als auch in zweiter und dritter Lesung - in Behandlung zieht, damit ein gleichzeitiges und zeitnahes Inkrafttreten möglich ist.
Zuständige Ministerien
Ministerium für Äusseres, Bildung und Kultur
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Amt für Justiz
Amt für Soziale Dienste
Landespolizei
Staatsanwaltschaft
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Vaduz, 5. Mai 2015
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Übereinkommen des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch zu unterbreiten.
Sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch gehören zu den schlimmsten Formen der Gewalt gegen Kinder. Verfügbare Daten weisen darauf hin, dass etwa eines von fünf Kindern in Europa Opfer einer Form von sexueller Gewalt wird. Es wird geschätzt, dass es sich bei der Person, die den Missbrauch begeht, in 70-85% der Fälle um jemanden handelt, den das Kind kennt und dem es vertraut.
1 Im Bestreben, den Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt zu verbessern, wurde im Rahmen des Europarats ein neues Übereinkommen erarbeitet und im Jahr -
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2007 verabschiedet, das Übereinkommen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch.
Das Übereinkommen baut auf bestehenden internationalen Regelungen auf, u.a. auf der UNO-Kinderrechtskonvention und dem Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität. Es ist das erste Rechtsinstrument, das die verschiedenen Formen des sexuellen Missbrauchs von Kindern umfassend für strafbar erklärt, einschliesslich des Missbrauchs zu Hause beziehungsweise innerhalb der Familie, der sexuellen Belästigung im Internet und des sogenannten Grooming oder Cyber-Grooming, d.h. der Kontaktaufnahme im Internet mit dem Ziel einer sexuellen Begegnung. Der umfangreiche Katalog an Straftatbeständen, welchen die Vertragsparteien in ihrer nationalen Strafgesetzgebung einzuführen haben, soll die Rechtslücken in der Gesetzgebung der Europarats-Mitglieder schliessen und zu einer Harmonisierung des materiellen Strafrechts führen. Dadurch soll einerseits das Entstehen von Sextourismus vermieden werden, bei welchem sich Rechtsbrecher für ihre Straftaten Staaten mit geringerem Schutzniveau aussuchen. Andererseits soll die Vergleichbarkeit von Daten und Erfahrungen gewährleistet und die internationale Zusammenarbeit durch aufeinander abgestimmte Regelungen erleichtert werden. So soll die Verletzung der grundlegendsten Rechte von Kindern koordinierter bekämpft und besser verhindert werden können.
Das Übereinkommen ist am 1. Juli 2010 in Kraft getreten. Bisher haben 36 Staaten das Übereinkommen ratifiziert und 11 haben es unterzeichnet (Stand 9. April 2014). Österreich ratifizierte das Übereinkommen am 25. Februar 2011, die Schweiz am 18. März 2014. Liechtenstein hat das Übereinkommen am 17. November 2008 unterzeichnet.