Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Rechtshilfegesetzes
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Die gegenständliche Vorlage dient der Schaffung von Rechtssicherheit in Bezug auf eine spezifische Fragestellung im Bereich der internationalen Amts- bzw. Rechtshilfe, die in jüngster Vergangenheit aufgeworfen worden ist. Konkret geht es um die formelle Präzisierung des Verfahrens bei eingehenden Fahndungen nach Personen, die im Schengener Informationssystem (SIS) von einem Mitgliedstaat zur Festnahme zwecks Auslieferung ausgeschrieben sind, und die in Liechtenstein vermutet werden. Hier soll mit einer Ergänzung im Rechtshilfegesetz klargestellt werden, dass solche im elektronischen Wege bei der Landespolizei einlangenden Fahndungen zur Entscheidung über eine allfällige Festnahme direkt dem Landgericht zu übermitteln sind.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Amtsstellen
Amt für Justiz
Landgericht
Landespolizei
Staatsanwaltschaft
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Vaduz, 30. Juni 2015
LNR 2015-926
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Rechtshilfegesetzes an den Landtag zu unterbreiten.
Seit der Inkraftsetzung des Schengen-Besitzstandes
1 für Liechtenstein im Jahr 2011
2 werden internationale Fahndungen nach Personen zum Zweck der Festnahme und Auslieferung zwischen den Schengen-Mitgliedstaaten nicht mehr im Wege der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol), sondern nur noch über das Schengener Informationssystem (SIS)
3 verbreitet. Solche Fahndungsersuchen dürfen nur auf Antrag einer Justizbehörde im SIS erfasst -
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werden
4 und sind für Nicht-EU-Staaten Ersuchen um vorläufige Festnahme im Sinne des Art. 16 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EAÜ)
5 rechtlich gleichgestellt.
6 Dies bedeutet, dass die Justizbehörden der ersuchenden Vertragspartei mit der Eingabe in das SIS alle übrigen Vertragsparteien um vorläufige Festnahme der verfolgten Person ersuchen können, ohne dass die Behörden der ersuchten Vertragsparteien, auf deren Hoheitsgebiet gefahndet werden soll, zuvor befasst werden müssen.
Mit der Einstellung einer solchen Fahndung auf Veranlassung einer Justizbehörde eines Mitgliedstaates im SIS werden alle anderen Mitgliedstaaten unmittelbar aktiv über die Verbreitung informiert. Die anderen Mitgliedstaaten sind aufgrund des Schengen-Besitzstandes
7 verpflichtet, unverzüglich abzuklären, ob die gesuchte Person sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten könnte. Zuständig für diese Überprüfung sind die jeweiligen SIRENE-Büros (in Liechtenstein nimmt diese Funktion die Landespolizei wahr
8).
Ergibt eine solche Abklärung, dass sich die gesuchte Person in Liechtenstein aufhalten könnte (z.B. Wohnsitz oder Arbeitsstelle in Liechtenstein), so hat die Landespolizei gestützt auf Art. Art. 27 Abs. 1 Rechtshilfegesetz (RHG)
9 das Landgericht über dieses "sonst im Weg der internationalen kriminalpolizeilichen Amts-
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hilfe"
10 einlangende justizielle Rechtshilfeersuchen zu verständigen.
11 Gleichzeitig übermittelt sie dieses Ersuchen in Kopie auch der Staatsanwaltschaft.
Das Landgericht hat - nach allfälliger Einholung der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft - gemäss Art. 27 Abs. 1 RHG zu prüfen, ob prima facie hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass die dem Ersuchen bzw. der SIS-Fahndung zugrunde liegende strafbare Handlung zu einer Auslieferung Anlass gibt. Ist dies nach Ansicht des Landgerichts der Fall, hat es eine Festnahmeanordnung (Haftbefehl) auszustellen. Dieser Beschluss ist sodann der Landespolizei zum Vollzug und der Staatsanwaltschaft zuzustellen.
Kommt das Landgericht hingegen zum Schluss, dass die Voraussetzungen für eine Auslieferung nicht gegeben sind, so hat es dies ebenfalls mit Beschluss festzustellen. Dieser Beschluss ist der Staatsanwaltschaft zuzustellen. Ebenfalls ist das SIRENE-Büro bei der Landespolizei darüber zu informieren. Für den Fall, dass ein Mitgliedstaat der Ansicht ist, die Festnahme zwecks Auslieferung sei rechtlich auf seinem Gebiet nicht zulässig, verpflichtet der Schengen-Besitzstand
12 die Mitgliedstaaten, vom ausschreibenden Mitgliedstaat zu verlangen, die Ausschreibung für sein Hoheitsgebiet zu kennzeichnen. Diese Kennzeichnung bewirkt, dass die ersuchte Massnahme (Festnahme zum Zweck der Auslieferung) bei einer zufälligen Anhaltung der Person in diesem Mitgliedstaat nicht vollzogen wird. Stattdessen werden dem ausschreibenden Mitgliedstaat lediglich der aktuelle Aufenthaltsort bzw. Wohnsitz mitgeteilt.
13 Diese Aufforderung zur Kennzeichnung hat über das SIRENE-Büro zu erfolgen.
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Der Vollständigkeit halber sei auch darauf hingewiesen, dass die Festnahme einer ausgeschriebenen Person unmittelbar durch die Landespolizei aus eigenem Antrieb nur bei Gefahr im Verzug zulässig ist (Art. 9 Abs. 1 RHG i.V.m. § 129 Abs. 1 Ziff. 2 StPO)
14, d.h., wenn das Landgericht vorgängig nicht erreicht werden kann. Dies ist aber in der Praxis aufgrund der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten und der vorhandenen Pikettstruktur praktisch ausgeschlossen.
Im Zusammenhang mit der direkten Übermittlung der justiziellen Rechtshilfeersuchen durch die Landespolizei an das Landgericht hat dieses nun die Frage aufgeworfen, inwieweit der Kreuzverkehr zwischen Polizei- und Justizbehörden von Art. 27 RHG gedeckt ist, zumal in Rechtshilfeangelegenheiten der justizielle Weg zu beschreiten sei. Durch eine Anpassung von Art. 27 Abs. 2 RHG soll analog der österreichischen Rezeptionsvorlage die Zulässigkeit des Kreuzverkehrs zwischen der Landespolizei und dem Landgericht bestätigt und damit auch die Zuständigkeit des Landgerichts präzisiert werden.
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1 | Zum Schengen-Besitzstand vgl. Bericht und Antrag Nr. 79/2008 sowie die unter der LR-Nr. 0.36 kundgemachten Normen. |
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2 | vgl. Kundmachung über die Inkraftsetzung des Protokolls zwischen dem Fürstentum Liechtenstein, der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, LGBl. 2011 Nr. 563. |
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3 | Detailliert zum SIS vgl. Bericht und Antrag Nr. 79/2008, S. 46 ff. |
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4 | vgl. Art. 26 Abs. 1 des Beschlusses 2007/533/JI über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II). |
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5 | LGBl. 1970 Nr. 29. |
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6 | vgl. Art. 31 Abs. 2 des Beschlusses 2007/533/JI über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II). |
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7 | vgl. Durchführungsbeschluss 2013/115/EU über das SIRENE-Handbuch und andere Durchführungsbestimmungen für das Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II), Ziff. 3.7. Vgl. auch Bericht und Antrag Nr. 79/2008, S. 88. |
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8 | vgl. Art. 2 Abs. 1 Bst. n Polizeigesetz, LGBl. 1989 Nr. 48. |
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9 | LGBl. 2000 Nr. 215. |
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10 | vgl. Art. 27 Abs. 2 RHG. |
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11 | vgl. auch Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 27 Rz 4. |
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12 | vgl. Art. 24 des Beschlusses 2007/533/JI über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II). |
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13 | vgl. Art. 30 des Beschlusses 2007/533/JI über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II). |
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14 | Vgl. auch Göth-Flemmich, aaO, Rz 7. |
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