Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Gemeindegesetzes (Motion zur Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei Wahlen auf Gemeindeebene)
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Am 8. Dezember 2018 ist in Umsetzung der Motion zur Anpassung der Mandatsverteilung bei Gemeinderatswahlen eine Abänderung des Gemeindegesetzes in Kraft getreten, gemäss welcher das System zur Ermittlung des Wahlergebnisses bei der Wahl des Gemeinderates auf der Ebene der Restmandatsverteilung umgestellt wurde. Vor dem Inkrafttreten dieser Revision des Gemeindegesetzes wurden die Grundmandate nach Hagenbach-Bischoff bestimmt, es bestand ein Grundmandatserfordernis, der Vorsteher wurde in den Proporz einbezogen und die Restmandate wurden nach der Methode D'Hondt bestimmt. Durch die Revision werden die Restmandate neu nach Hagenbach-Bischoff bestimmt, die anderen Elemente des Systems blieben unverändert.
Am 28. Januar 2019 reichte die Fraktion der Freien Liste eine Motion zur Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei Wahlen auf Gemeindeebene ein. Diese wurde anlässlich der Landtagssitzung vom Februar/März 2019 an die Regierung überwiesen.
Mit der gegenständlichen Vorlage soll der mit der Motion erteilte Auftrag umgesetzt werden. Diese sieht vor, dass das Wahlergebnis bei der Wahl des Gemeinderates rein nach der Methode Hagenbach-Bischoff unter Einbezug des Vorstehers erfolgen soll. Ebenfalls wurde dem Wunsch des Landtages nach einem geordneten Gesetzgebungsprozess mit vorgelagerter Vernehmlassung unter Einbezug der Gemeinden Rechnung getragen.
Zudem werden mit dieser Vorlage begriffliche Anpassungen bei zwei Gesetzesartikeln vorgeschlagen, welche sich aus der Nachführung zu anderen Gesetzen ergeben, sowie aus der Praxis resultierende Unklarheiten in Zusammenhang mit der Wahl der Geschäftsprüfungskommission beseitigt.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Bildung und Umwelt
Betroffene Stellen
Stabsstelle Regierungskanzlei
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Vaduz, 5. November 2019
LNR 2019-1208 P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Gemeindegesetzes (Motion zur Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei Wahlen auf Gemeindeebene) zu unterbreiten.
Bis zum Inkrafttreten der Revision des Gemeindegesetzes am 8. Dezember 2018 erfolgte die Ermittlung des Wahlergebnisses bei Wahlen des Gemeinderates nach folgendem System:
Grundmandate: Hagenbach-Bischoff
Grundmandatserfordernis
Einbezug Vorsteher
Restmandate: D'Hondt
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Am 27. April 2015 wurde die Motion zur Anpassung der Mandatsverteilung bei Gemeinderatswahlen eingereicht, die auf eine Anpassung der Restmandatsverteilung abzielte. Der Landtag hat diese Motion am 10. Juni 2015 an die Regierung überwiesen.
Am 2. August 2015 reichte die Fraktion der Freien Liste eine Motion zur Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei Gemeinderatswahlen ein, die an der Landtagssitzung vom 2. September 2015 nicht an die Regierung überwiesen wurde.
Dem klaren Auftrag der Motion vom 27. April 2015 folgend schlug die Regierung mit Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Gemeindegesetzes zur Umsetzung der Motion zur Anpassung der Mandatsverteilung bei Gemeinderatswahlen (BuA Nr. 41/2018) dem Landtag eine Umstellung auf Ebene der Restmandatsverteilung von D'Hondt auf Hagenbach-Bischoff vor und liess das Grundmandatserfordernis unberührt. Anlässlich der Eintretensdebatte und der ersten Lesung am 20. Juni 2018 hat der Landtag das Grundmandatserfordernis intensiv diskutiert.
Im Rahmen der zweiten Lesung (Stellungnahme der Regierung Nr. 71/2018) am 4. Oktober 2018 hat ein Abgeordneter der Freien Liste den Abänderungsantrag gestellt, Art. 78 Abs. 4 des Gemeindegesetzes sei im Rahmen der zweiten Lesung betreffend die Abänderung des Gemeindegesetzes ersatzlos zu streichen. Aufgrund des Stichentscheides des Landtagspräsidenten wurde dem Antrag mit 12 Ja und 12 Nein-Stimmen nicht zugestimmt. Somit gestaltet sich das System zur Ermittlung des Wahlergebnisses bei Gemeinderatswahlen seit dem 8. Dezember 2018 wie folgt:
Grundmandate: Hagenbach-Bischoff (Art. 79 Abs. 1 GemG)
Grundmandatserfordernis (Art. 78 Abs. 4 GemG)
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Einbezug Vorsteher (Art. 78 Abs. 1 bis 3 und 5 GemG)
Restmandate: Hagenbach-Bischoff (Art. 79 Abs. 2 und 3 GemG)
Die nunmehrig umzusetzende Motion vom 28. Januar 2019 der Abgeordneten Georg Kaufmann, Thomas Lageder und Patrick Risch hat erneut zum Ziel, dass die Mandate rein nach Hagenbach-Bischoff unter Einbezug des Vorstehers verteilt werden, ohne dass ein Grundmandatserfordernis besteht.
Die Motion vom 28. Januar 2019 hat folgenden Wortlaut:
Die Regierung wird beauftragt, dem Landtag eine Gesetzesvorlage zu unterbreiten, welche die Abschaffung des Grundmandatserfordernisses bei Wahlen auf Gemeindeebene vorsieht.
Herleitung:
Am 2. August 2015 reichten die Abgeordneten Helen Konzett, Thomas Lageder und Wolfgang Marxer eine Motion mit gleichlautendem Auftrag an die Regierung ein. Diese wurde am 2. September 2015 mit 10 Stimmen nicht an die Regierung überwiesen. Am 20. Juni 2018 wurde die Gesetzesumsetzung der Motion zur Anpassung der Mandatsverteilung bei Gemeinderatswahlen (Umstellung von D'Hondt- auf Hagenbach-Bischoff-Verfahren) in erster Lesung beraten und auch die Abschaffung des Grundmandatserfordernisses für die Restmandatsverteilung eingehend und grundsätzlich diskutiert. Schliesslich wurde am 4. Oktober 2018 selbige Gesetzesvorlage in zweiter und abschliessender Lesung beraten. Dabei stellte die Fraktion der Freien Liste den Abänderungsantrag, wonach das Grundmandatserfordernis für die Restmandatsverteilung, die in Artikel 78 Absatz 4 normiert ist, ersatzlos zu streichen sei. Diesem Antrag wurde mit 12 Stimmen bei 24 Anwesenden mit dem Stichentscheid des Präsidenten nicht Folge geleistet.
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Aus den verschiedenen Diskussionen zum Thema "Grundmandatserfordernis für die Restmandatsverteilung" erschliessen sich für die Fraktion der Freien Liste folgende Erkenntnisse:
Der Landtag wünscht eine abermalige grundsätzliche Diskussion zur Abschaffung des Grundmandatserfordernisses für die Restmandatsverteilung. Der Landtag möchte einen geordneten Gesetzgebungsprozess mit vorgelagerter Vernehmlassung unter Einbezug der Gemeinden. Der Landtag brachte zum Ausdruck, falls eine Mehrheit gefunden werden kann, dass mittels eines konkreten Auftrags in Form eines politischen Vorstosses die Regierung beauftragt werden soll, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten.
Die Fraktion der Freien Liste hat sich deshalb entschieden, abermals eine Motion einzureichen, die es zum einen ermöglicht, den gesamten Prozess der Gesetzgebung (Auftragserteilung mittels Überweisung der Landtagsmehrheit an die Regierung, Vernehmlassung unter Einbezug der Gemeinden, Bericht und Antrag an den Landtag, Eintretensdiskussion, erste Lesung, Stellungnahme der Regierung an den Landtag sowie zweite und abschliessende Behandlung) zu durchlaufen. Auch dürfte es auf Grund der bereits umfangreichen Vorarbeiten der Regierung im Zusammenhang mit der Erledigung der Motion zur Anpassung der Mandatsverteilung bei Gemeinderatswahlen für die Regierung und den Landtag ein Leichtes sein, diesen Prozess in der laufenden Legislatur zu erledigen, ohne den vorgesehenen Zeitrahmen von zwei Jahren für die Abarbeitung der Motion, bei einer allfälligen Überweisung, auszuschöpfen. Dies würde dem ebenfalls vom Landtag geäusserten Wunsch entsprechen, dass der Gesetzgebungsprozess sich nicht über zwei Legislaturen hinzieht und sich dieselben Abgeordneten mit der Materie beschäftigen können.
Die Fraktion der Freien Liste hat sich aus diesen Gründen für eine Motion und gegen eine parlamentarische Gesetzesinitiative entschieden. Würde doch eine 9
parlamentarische Gesetzesinitiative eine Vernehmlassung und den Einbezug der Gemeinden, wenn nicht verunmöglichen, doch massiv erschweren, und die Regierung keinen Auftrag zur Umsetzung erhalten. Dies scheint dem Wunsch des Landtags weniger respektive nicht zu entsprechen. Begründung:
Das Grundmandatserfordernis bei der Verteilung der Sitze, das Liechtenstein insbesondere bei Gemeinderatswahlen kennt, führt tendenziell dazu, dass dem Wählerwillen nicht optimal Rechnung getragen wird. Ein Verfahren zur Sitzverteilung ohne Grundmandatserfordernis ermöglicht eine Mandatsverteilung, die den tatsächlichen Verhältnissen besser entspricht. Besonders deutlich zeigt sich dieses Demokratiedefizit an den Gemeinderatswahlen 2019 zur Anwendung kommenden Hagenbach-Bischoff-Verfahren:
Bei diesem Verfahren werden im Unterschied zum ehemaligen Verfahren nach D'Hondt die Restmandate nicht nur auf Grund der Verteilung der Reststimmen vergeben. Berücksichtigt werden alle Stimmen, die eine Wählerliste erhalten hat. Die Sitze werden so verteilt, dass für jedes einzelne Mandat möglichst gleich viele Stimmen benötigt werden beziehungsweise mit jedem Mandat ein möglichst gleich grosser Wähleranteil repräsentiert wird. Wird nun das Grundmandatserfordernis aufrecht erhalten, wird dieser Idee widersprochen, denn es ist möglich, dass eine im Gemeinderat vertretene Wählergruppe für jeden einzelnen ihrer Sitze weniger Stimmen benötigt als eine Wählergruppe erhalten hat, die an der Mandatsverteilung nicht teilnehmen darf.
Bei der konkreten Stimmverteilung, wie sie nach den Gemeinderatswahlen 2015 in Balzers vorliegt, wäre genau dies eingetreten. Bliebe das Grundmandatserfordernis bestehen und würden nach dem Hagenbach-Bischoff-Verfahren die Mandate gemäss der Stimmenverteilung an den Wahlen 2015 zugewiesen, würde die 10
FBP 6 Sitze erhalten. Bei 8565 Parteistimmen bedeutet dies 1427.5 Stimmen pro Sitz. Pro Sitz werden also 1427.5 Stimmen oder die Stimmkraft von knapp 143 Wahlberechtigten abgebildet, wenn alle Sitze einer Partei als gleichwertig angesehen werden. Im konkreten Fall Balzers haben nun beide Parteien, die aufgrund des Grundmandatserfordernisses nicht an der Restmandatsverteilung teilnehmen durften, mehr als diese 1427.5 Stimmen erhalten, die die FBP jeweils für einen Sitz benötigen würde. Der grundsätzlichen Idee des Verfahrens würde damit widersprochen. Das zweite Restmandat müsste an den Vertreter der Partei DU gehen, wenn alle Stimmen möglichst das gleiche Gewicht haben sollten. Mit Grundmandatserfordernis würde die Verteilung der tatsächlich benötigten Stimmen für einen Sitz folgendermassen aussehen: Die FBP würde wie bereits erwähnt 1427.5 Stimmen pro Sitz benötigen, die VU 1660.4 Stimmen. Ohne Grundmandatserfordernis würde die VU weiterhin 5 Sitze erhalten. Damit würden auch die gleichen 1660.4 Stimmen pro Sitz repräsentiert. Die FBP würde mit ebenfalls 5 Sitzen 1713 Stimmen pro Sitz benötigen. Das zweite Restmandat würde die DU erhalten, auf die 1619 Stimmen entfallen sind. Die Bandbreite an benötigten Stimmen pro Sitz beziehungsweise die Bandbreite an repräsentierten Wählerstimmen, die auf jeden einzelnen Sitz fallen, wäre damit deutlich geringer. Im Fall mit Grundmandatserfordernis beträgt die Differenz zwischen dem Sitz, für den die meisten Stimmen benötigt werden, und dem Sitz, für den die wenigsten Stimmen benötigt werden, knapp 233 Stimmen. Bei Aufhebung des Grundmandatserfordernisses reduziert sich diese Differenz um über die Hälfte auf 94 Stimmen. Das bedeutet auch, dass der Wählerwille besser abgebildet wäre.
In anderen Worten: Wenn das zweite Restmandat an die DU geht, repräsentiert die knappest mögliche Mehrheit im Gemeinderat zwischen 49.5 (5 VU und 1 DU) und 51 Prozent (5 FBP und 1 VU) der Wählerstimmen. Wenn das zweite Rest-11
mandat an die FBP geht, repräsentiert die knappest mögliche Mehrheit zwischen 42.7 (6 FBP) und 48.5 Prozent (5 VU und 1 FBP) der Wählerstimmen. Auch bei anderen Verfahren der Sitzverteilung ist aus demokratiepolitischer Sicht die Variante ohne Grundmandatserfordernis eindeutig vorzuziehen. Denn bei einem Grundmandatserfordernis gelten bei der Vergabe eines Restmandats die Stimmen für eine Wählerliste, die diese Hürde des Grundmandatserfordernisses nicht gemeistert hat, nicht mehr so viel wie die Stimmen für die anderen Wählerlisten. Eine gleiche Stimmkraft für alle Wählerstimmen ist aber ein wesentliches Kriterium für eine Demokratie.
Ebenfalls ein Grundmandatserfordernis besteht bei den Wahlen der Geschäftsprüfungskommission, für die gemäss Art. 84 des Gemeindegesetzes die gleichen Bestimmungen gelten wie für die Wahl des Gemeinderates. Bei der Wahl der Geschäftsprüfungskommission können die gleichen Argumente wie bei der Wahl des Gemeinderates vorgebracht werden. Darüber hinaus ist es besonders bei diesen Wahlen wenig sinnvoll, die grossen Parteien zu bevorzugen, die die politische Hauptverantwortung tragen. Für die Zusammensetzung eines Kontrollgremiums ist es wichtig, dass die Personen über kein zu grosses Naheverhältnis zum kontrollierten Personenkreis verfügen - was auch die Parteizugehörigkeit umfasst. Auch in diesem Fall soll also das Grundmandatserfordernis abgeschafft werden. Die Konsequenzen einer Anpassung der Sitzverteilung bei Gemeinderatswahlen auf die Wahlen der Geschäftsprüfungskommission müssen aber berücksichtigt werden und allenfalls sollen weitere gesetzliche Massnahmen vorgeschlagen werden, wenn die Regierung zum Schluss gelangt, dass diese angezeigt sind.