Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2020 / 113
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage und Begründung
2.Schwer­punkte der Vorlage
3.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bestimmungen
4.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
5.Aus­wir­kungen auf Ver­wal­tungstä­tig­keit und Ressourceneinsatz
II.Antrag der Regierung
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Zusatzabkommen zwischen dem Fürstentum Liechtenstein, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland über die Einbeziehung des Fürstentums Liechtenstein in gewisse Bestimmungen des Handelsabkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland
 
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Abgesehen vom EWR-Abkommen werden die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Liechtenstein und der Europäischen Union (EU) und damit zwischen Liechtenstein und dem Vereinigten Königreich (UK) heute über das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU vom 22. Juli 1972 geregelt. Das Freihandelsabkommen schafft eine Freihandelszone für Industrieprodukte. Dieses Abkommen wurde - wie auch später das Agrarabkommen zwischen der Schweiz und der EU - über ein Zusatzabkommen auf Liechtenstein ausgedehnt.
Mit dem Brexit bzw. dem Ende des Übergangszeitraums verlieren diese beiden Abkommen ihre Anwendbarkeit auf UK. Die Schweiz hat im Rahmen ihrer "Mind the Gap Strategie" mit UK ein Handelsabkommen abgeschlossen, das insgesamt sechs der bilateralen Abkommen Schweiz-EU im Verhältnis zu UK weiterführt. Zwei dieser Abkommen - das Freihandelsabkommen und das Agrarabkommen - werden über ein Zusatzabkommen auf Liechtenstein ausgedehnt.
Das Zusatzabkommen, das am 11. Februar 2019 in Bern unterzeichnet wurde, gewährleistet die Weiterführung des zollfreien Handels mit Industrieprodukten und verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten. Mit dem Abkommen wird ein für die Wirtschaft sehr zentraler Bereich der zukünftigen Beziehungen mit UK nahtlos weitergeführt. Drei weitere Abkommen - das Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit, das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen und das Gegenseitigkeitsabkommen - werden über den Zollvertrag direkt auf Liechtenstein anwendbar.
Weitere Bereiche der zukünftigen Beziehungen mit UK sollen in einem gemeinsamen Freihandelsabkommen der EWR/EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein mit UK geregelt werden. Diese Verhandlungen dauern zum Zeitpunkt der Verabschiedung des vorliegenden Bericht und Antrags noch an.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Äusseres, Justiz und Kultur
Betroffene Stellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
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Vaduz, 6. Oktober 2020
LNR 2020-1407
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Zusatzabkommen zwischen dem Fürstentum Liechtenstein, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland über die Einbeziehung des Fürstentums Liechtenstein in gewisse Bestimmungen des Handelsabkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland zu unterbreiten.
1.Ausgangslage und Begründung
Am 23. Juni 2016 sprach sich die britische Bevölkerung im Rahmen einer Volksabstimmung mit einer Mehrheit von 51,9 Prozent für einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) aus. Am 29. März 2017 erfolgte das offizielle EU-Austrittsgesuch durch das Vereinigte Königreich (UK). Mit diesem wurde die zweijährige Frist gemäss Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) zur Verhandlung eines geordneten Austritts ausgelöst.
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In der ersten Verhandlungsrunde einigten sich UK und die EU auf eine Sequenzierung der Verhandlungen in drei Phasen. Die erste Phase hatte das Ziel, einen geordneten Austritt UKs aus der EU sicherzustellen.
Nachdem genügend Fortschritte bei den prioritären Themen erzielt wurden, startete die zweite Phase der Austrittsverhandlungen mit Gesprächen über den Rahmen für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und UK.
Die EU machte aber von Anfang an klar, dass konkrete Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen erst beginnen können, wenn UK kein EU-Mitglied mehr ist.
Um die Integrität des Binnenmarkts zu wahren, haben sich die EWR/EFTA-Staaten Liechtenstein, Island und Norwegen entschieden, ebenfalls in einem ersten Schritt den Austritt zu regeln und wie die EU die zukünftigen Beziehungen mit UK erst in der zweiten Phase zu verhandeln. Als EWR-Mitglied hat Liechtenstein eine andere Ausgangslage als die Schweiz. Liechtenstein nimmt am Binnenmarkt teil und geniesst dadurch freien Marktzugang in allen EU-Staaten. Das höhere Integrationsniveau macht auch die Entflechtung der Rechte und Pflichten beim Austritt eines Mitglieds komplexer.
Nach langwierigen Verhandlungen und dreimaliger Verlängerung der Austrittsfrist konnte schliesslich zwischen der EU und UK eine Einigung auf ein Austrittsabkommen erzielt werden. Damit konnte auch das zwischen den EWR/EFTA-Staaten und UK ausgehandelte Austrittsabkommen am 1. Februar 2020 in Kraft treten1. Das Abkommen spiegelt die EWR-relevanten Teile des Abkommens -
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EU-UK. Es gewährleistet, dass EWR/EFTA-Staatsangehörige, die bereits in UK leben bzw. britische Staatsangehörige, die in Norwegen, Island oder Liechtenstein leben, weitgehend die gleichen Rechte haben wie bisher. Dazu gehören neben dem Aufenthaltsrecht, auch die Ansprüche auf Sozialversicherung und die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen. Die spezielle liechtensteinische Lösung beim Personenverkehr bleibt vorbehalten. Da Norwegen, Island und Liechtenstein Teil des Binnenmarktes sind, behandelt das Abkommen neben den Bürgerechten weitere Fragen, die sich aus dem EU-Austritt UKs ergeben, wie Datenschutz, Geistiges Eigentum, bereits in Verkehr gebrachte Waren und öffentliches Auftragswesen. Bei allen diesen Themen wird im Wesentlichen geregelt, dass Rechte, die vor dem Ende des Übergangszeitraums erworben wurden, auch weiterhin geschützt werden bzw. dass am Ende des Übergangszeitraums noch laufende Verfahren nach denselben Bestimmungen, nach denen sie begonnen haben, beendet werden. Das Austrittsabkommen regelt aber nicht die zukünftigen Beziehungen zwischen Liechtenstein und UK.
Während des Übergangszeitraums, den die EU und UK vereinbart haben und der bis 31. Dezember 2020 dauert, wird UK weiterhin als EU-Mitglied behandelt. Diese Übergangsfrist wird in Liechtenstein mit dem Brexit-Übergangsgesetz2 umgesetzt. Das Gesetz bestimmt, dass UK während des Übergangszeitraums im liechtensteinischen Recht weiter als EWR- bzw. EU-Mitgliedstaat gilt.
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Liechtenstein und der EU und damit zwi-schen Liechtenstein und UK werden aktuell nicht nur über das EWR-Abkommen, sondern auch über das Freihandelsabkommen (FHA CH-EU), das die Schweiz am
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22. Juli 1972 mit der EU (damals Europäische Gemeinschaft) abgeschlossen hat, geregelt. Dieses Freihandelsabkommen wurde, wie später auch das Agrarabkommen zwischen der Schweiz und der EU, über ein Zusatzabkommen auf Liechtenstein ausgedehnt.
In Bezug auf den Brexit verfolgte die Schweiz von Anfang an eine andere Strategie. Die sogenannte "Mind the gap"-Strategie, die der Bundesrat 2016 verabschiedete, soll die bestehenden gegenseitigen Rechte und Pflichten der beiden Staaten über das Ende des Übergangszeitraums sichern. Das Handelsabkommen, das die Schweiz im Rahmen dieser Strategie mit UK abschloss, wird wie auch das Freihandelsabkommen mit der EU auf Liechtenstein ausgedehnt. Art. 8 des Zollvertrags bestimmt, dass Liechtenstein keine eigenen Handelsabkommen abschliesst und die Schweiz ermächtigt ist, Liechtenstein in solchen Angelegenheiten zu vertreten sowie solche Abkommen im Auftrag von Liechtenstein abzuschliessen. Für den Warenverkehr mit UK wird daher ab dem 1. Januar 2021 ausschliesslich das Zusatzabkommen zwischen Liechtenstein, der Schweiz und UK zur Anwendung gelangen. Die restlichen Handelsbeziehungen mit UK, v.a. Dienstleistungen, Investitionen und Geistiges Eigentum, sollen in einem gemeinsamen Freihandelsabkommen der EWR/EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein mit UK geregelt werden. Bei diesem Abkommen wird Liechtenstein vom Warenverkehrsteil ausgenommen. Ziel ist es, mindestens den gleichen Marktzugang wie die EU sicherzustellen und eine Diskriminierung gegenüber der EU zu vermeiden. Die Verhandlungen dauern zum Zeitpunkt der Verabschiedung des vorliegenden Bericht und Antrags durch die Regierung noch an.



 
1Abkommen zwischen Island, dem Fürstentum Liechtenstein, dem Königreich Norwegen und dem Vereinigten Königreich Grossbritannien und Nordirland über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, dem EWR-Abkommen und anderen Abkommen, die zwischen dem Vereinigten Königreich und den EWR/EFTA-Staaten aufgrund der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union gelten (LGBl. 2020 Nr. 51).
 
2Gesetz vom 29. Januar 2020 für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Grossbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und dem EWR-Abkommen und anderen Abkommen, die zwischen dem Vereinigten Königreich und den EWR/EFTA-Staaten aufgrund der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union gelten (LGBl. 2020 Nr. 50).
 
LR-Systematik
0..9
0..94
0..94.6
LGBl-Nummern
2020 / 527
Landtagssitzungen
06. November 2020
Stichwörter
Brexit: Wei­ter­füh­rung zoll­freier Handel (Indus­trie­pro­dukte und ver­ar­bei­tete Landwirtschaftsprodukt)
Frei­han­dels­ab­kommen, Agrar­ab­kommen - Zusatz­ab­kommen auch mit Liechtenstein
Zusatz­ab­kommen Liech­tens­tein mit Schweiz, UK, Nordirland