Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2021 / 15
Zurück Druckansicht Dokument als PDF Navigation anzeigen
Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Begrün­dung der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bes­tim­mungen der Istanbul-Konvention
5.Abän­de­rung der Zivil­pro­zess­ord­nung und des Ausserstreitgesetzes
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
7.Aus­wir­kungen auf Ver­wal­tungstä­tig­keit und Ressourceneinsatz
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lagen
1.Gesetz über die Abän­de­rung der Zivilprozessordnung
2.Gesetz über die Abän­de­rung des Ausserstreitgesetzes
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention)und Abänderung der Zivilprozessordnung und des AusserStreit-Gesetzes
 
4
Mit dem vorliegenden Bericht und Antrag unterbreitet die Regierung dem Land-tag das Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Die Istanbul-Konvention ist das europaweit erste bindende Rechtsinstrument mit dem Ziel, v.a. Frauen und Mädchen umfassend vor geschlechtsspezifischer Gewalt, insbesondere häuslicher Gewalt, zu schützen. Die Konvention reagiert darauf, dass eine überwältigende Mehrheit der Opfer von Stalking, sexueller Belästigung, sexueller Gewalt und Vergewaltigungen, Zwangsheirat, sexueller und psychischer Nötigung und Zwangssterilisation weiblich sind. Hinzu kommt, dass Verstümmelungen weiblicher Genitalien und Zwangsabtreibungen als Gewaltformen nur an Frauen verübt werden können. Die Konvention integriert dabei die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen in den grösseren Rahmen der Umsetzung einer wirklichen Gleichstellung von Frauen und Männern und trägt so erheblich zu einer stärkeren Anerkennung von Gewalt gegen Frauen als eine Form der Diskriminierung bei. Sie basiert damit auf dem Gedanken, dass es keine materielle Gleichheit zwischen Mann und Frau geben kann, solange Frauen in grossem Masse unter geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt leiden. Die Konvention soll insbesondere auch dem Umstand Rechnung tragen, dass sowohl Polizei als auch Gerichte und soziale Einrichtungen in vielen Staaten nur ungenügend auf Gewalt gegen Frauen reagieren. Die Vertragsstaaten werden zudem aufgerufen, die Konvention auf alle Opfer häuslicher Gewalt, also auch auf Männer und Kinder, anzuwenden.
Die Konvention verfolgt das Ziel, eine ganzheitliche Antwort auf Gewalt gegen Frauen zu geben. Schwerpunkte der Konvention sind die Prävention von Gewalt an Frauen, der Schutz von Opfern, die konsequente Verfolgung von Straftaten im Sinne der Konvention sowie ein koordiniertes Vorgehen. In dieser Hinsicht gleicht die Struktur der Konvention anderen Menschenrechtsinstrumenten des Europarats wie der Lanzarote-Konvention vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch oder der Konvention vom 16. Mai 2005 zur Bekämpfung des Menschenhandels, bei denen Liechtenstein bereits Vertragspartei ist.
Die Konvention wurde am 11. Mai 2011 verabschiedet und ist am 1. August 2014 in Kraft getreten. Bislang haben 34 Staaten die Konvention ratifiziert; elf Staaten und die EU haben sie unterzeichnet (Stand 1. März 2021). Liechtenstein hat die Konvention am 10. November 2016 unterzeichnet. Die Ratifikation trägt dem
5
Anliegen Rechnung, die Prävention und Verfolgung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Liechtenstein zu stärken. Überdies steht dieses Vorgehen im Einklang mit der liechtensteinischen Aussenpolitik, welche dem Schutz der Rechte von Frauen seit vielen Jahren einen hohen Stellenwert beimisst.
Die liechtensteinische Rechtsordnung genügt den Anforderungen dieser Europaratskonvention gegenwärtig weitestgehend. In Anlehnung an die österreichische Rezeptionsvorlage soll jedoch anlässlich der Ratifikation der Opfer- und Zeugenschutz durch eine Anpassung der Zivilprozessordnung und des Ausserstreitgesetzes erweitert werden. So sollen die Möglichkeit der abgesonderten Vernehmung, der Vernehmung Minderjähriger durch Sachverständige sowie die Geheimhaltung der Wohnanschrift von Opfern und Zeugen und die Prozessbegleitung in Zivilverfahren eingeführt werden; analog den im Strafverfahren bereits bestehenden Möglichkeiten. Diese geringfügigen Gesetzesanpassungen sollen zeitgleich mit der Ratifikation erfolgen.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Äusseres, Justiz und Kultur
Betroffene Stellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Amt für Justiz
Amt für Soziale Dienste
Opferhilfestelle
Landespolizei
Staatsanwaltschaft
Ausländer- und Passamt
Schulamt
Datenschutzstelle
 
6
7
Vaduz, 23. März 2021
LNR 2021-401
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Gewalt gegen Frauen einschliesslich häuslicher Gewalt stellt in Europa und weltweit eine der schwersten geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen dar. Zahlreiche Mitgliedstaaten des Europarats haben nationale Untersuchungen zur Gewaltbetroffenheit von Frauen durchgeführt, die meist ein düsteres Bild zeichnen. Die Formen von Gewalt gegen Frauen sind vielfältig. Sie reichen von Schlägen, sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung über Zwangsheirat, Zwang zu Sterilisation und Abtreibung bis hin zu Frauenhandel und Genitalverstümmelung. Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat weitreichende Konsequenzen, sie schadet nicht nur den Frauen selbst, auch ihre Familien und die Gesellschaft sind betroffen. Mit dem Übereinkommen werden zum ersten Mal in Europa verbindliche Rechtsnormen zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter bzw. Täterinnen erlassen. Es
8
schliesst eine wesentliche Lücke beim Schutz der Rechte der Frau und ruft die Vertragsparteien zur Ausweitung des Schutzes auf alle Opfer häuslicher Gewalt auf.
Das Übereinkommen ist seit 1. August 2014 in Kraft und wurde bisher von 34 Staaten ratifiziert und zusätzlichen 11 Staaten und der EU unterzeichnet (Stand 1. März 2021). Österreich hat die Istanbul-Konvention am 14. November 2013 und die Schweiz am 14. Dezember 2017 ratifiziert. Am 10. November 2016 unterzeichnete Liechtenstein das Übereinkommen.
LR-Systematik
0..3
0..31
2
27
271
2
27
274
LGBl-Nummern
2021 / 242
Landtagssitzungen
07. Mai 2021
Stichwörter
Abän­de­rung Ausserstreitgesetz
Abän­de­rung Zivilprozessordnung
Euro­pa­rats­kon­ven­tion
häus­liche Gewalt
Istanbul-Konvention
Prä­ven­tion von Gewalt gegen Frauen
Schutz von Opfern
Ver­fol­gung von Straftaten