Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Gesetzes über die amtliche Schätzung von Grundstücken und Gebäuden
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Im Rahmen des amtlichen Schätzungswesens kann jedermann - unabhängig davon, ob er Eigentümer eines Schätzungsobjekts, eine Behörde oder ein Dritter ist und unabhängig von der weiteren Verwendung des Schätzungsergebnisses - eine amtliche Schätzung durch die Schätzungskommission beantragen.
In der Praxis hat sich seit Inkrafttreten des Schätzungsgesetzes am 1. Januar 2017 gezeigt, dass viele Privatpersonen zur persönlichen Verwendung eine amtliche Schätzung in Auftrag geben, beispielsweise im Hinblick auf einen geplanten Kauf oder Verkauf einer Liegenschaft. Der Grund dafür dürfte sein, dass die Kosten im Vergleich zu einer Schätzung durch einen privatwirtschaftlich tätigen Schätzungsexperten wesentlich tiefer ausfallen. Diese Situation führt zu einer Konkurrenzierung der Privatwirtschaft durch das amtliche Schätzungswesen.
Aus diesem Grund erfolgt eine Anpassung von Art. 1 des Schätzungsgesetzes, wonach amtliche Schätzungen für ausschliesslich private Zwecke grundsätzlich nicht mehr möglich sind. Hiervon ausgenommen sind Schätzungen zum Zweck der Erbteilung, da durch eine amtliche Schätzung gewährleistet ist, dass die Schätzungsergebnisse eine möglichst hohe Akzeptanz geniessen.
Ziel dieser Einschränkung des Geltungsbereichs des Schätzungsgesetzes ist es, eine Verzerrung des Wettbewerbs zwischen privatwirtschaftlichen und amtlichen Schätzungen zu beseitigen.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Infrastruktur und Justiz
Betroffene Stellen
Gemeinden
Schätzungskommission
Amt für Justiz
Amt für Bau und Infrastruktur
Steuerverwaltung
Liechtensteinische Alters- und Hinterlassenenversicherung, Liechtensteinische Invalidenversicherung und Liechtensteinische Familienausgleichskasse
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Vaduz, 2. November 2021
LNR 2020-1633
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Gesetzes über die amtliche Schätzung von Grundstücken und Gebäuden zu unterbreiten.
Art. 1 des Schätzungsgesetzes (SchätzG)
1 regelt die Durchführung der amtlichen Schätzungen von Grundstücken und Gebäuden im Fürstentum Liechtenstein. Zuständig für die Durchführung der amtlichen Schätzungen sind entweder die Schätzungskommission als Gremium oder der Vorsitzende der Schätzungskommission allein.
2Vor Inkrafttreten des Schätzungsgesetzes wurden für das amtliche Schätzungswesen Gemeindeschätzungskommissionen eingesetzt, welche sich aus rund
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50 Personen und deren stellvertretenden Kommissionsmitgliedern zusammensetzten. Nachdem der administrative Aufwand für die Wahlen der Kommissionsmitglieder hoch war, die Gemeindeschätzungskommissionen in der Praxis jedoch kaum amtliche Schätzungen vornahmen,
3 wurden diese abgeschafft. Anstelle der Gemeindeschätzungskommissionen wurde eine zentrale Schätzungskommission für das ganze Land eingesetzt. Dadurch sollten die nötige Erfahrung und das entsprechende Fachwissen für die Durchführung amtlicher Schätzungen sichergestellt werden. Die Schaffung einer zentralen Schätzungskommission hatte somit insbesondere den Zweck, für Kontinuität und Gleichbehandlung zu sorgen. Insbesondere beim Landerwerb durch das Land oder die Gemeinden spielen bei den Preisverhandlungen mit den betroffenen Grundeigentümern Kontinuität des Schätzwertes und die Gleichbehandlung der Grundeigentümer eine zentrale Rolle.
Amtliche Schätzungen werden auf Antrag eingeleitet,
4 unabhängig davon, zu welchem Zweck eine amtliche Schätzung Verwendung findet. Antragslegitimiert sind insbesondere der Eigentümer eines Schätzungsobjekts, eine Behörde, eine Gemeinde oder Dritte. Hinsichtlich der Antragstellung gibt es somit keine Einschränkung. Vielmehr kann jeder, für den eine amtliche Schätzung von Interesse ist, eine solche bei der Schätzungskommission in Auftrag geben.
Gemäss Bericht und Antrag Nr. 43/2016
5 gab es vor Inkrafttreten des Schätzungsgesetzes nur sehr wenige amtliche Schätzungen und die Regierung rechnete deshalb mit ca. 130 bis 140 Schätzungen pro Jahr. Tatsächlich wurden im Jahr 2017 allerdings insgesamt 288, im Jahr 2018 insgesamt 239 und im Jahr 2019 insgesamt 279 amtliche Schätzungen beantragt und somit die Erwartungen bei Weitem -
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übertroffen. Im Jahr 2020 zeigte sich nochmals ein deutlicher Anstieg auf insgesamt 369 amtliche Schätzungen.
Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die in den Jahren 2017 bis 2020 von der Schätzungskommission bzw. vom Vorsitzenden der Schätzungskommission durchgeführten amtlichen Schätzungen:
| 2017 | 2018 | 2019 | 2020 |
Schätzungskommission | 156 | 103 | 83 | 196 |
Vorsitzender der Schätzungskommission | 132 | 136 | 196 | 173 |
Gesamt | 288 | 239 | 279 | 369 |
Die vom Vorsitzenden der Schätzungskommission alleine durchgeführten Schätzungen untergliedern sich wie folgt:
| 2017 | 2018 | 2019 | 2020 |
Schätzungen für die AHV, IV, und FAK | 55 | 48 | 68 | 42 |
Schätzungen von Anlagekosten | 74 | 88 | 128 | 129 |
Schätzungen für Mietbeiträge | 3 | 0 | 0 | 2 |
Gesamt | 132 | 136 | 196 | 173 |
Werden die vorliegenden Zahlen der von der Schätzungskommission durchgeführten Schätzungen unter dem Gesichtspunkt des entsprechenden Verwendungszwecks einer amtlichen Schätzung betrachtet, ergibt sich Folgendes:
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| 2017 | 2018 | 2019 | 2020 |
Private Zwecke | 78 | 40 | 30 | 37 |
Öffentliche Zwecke | 78 | 63 | 53 | 159 |
Gesamt | 156 | 103 | 83 | 196 |
Es zeigt sich, dass ein nicht unwesentlicher Teil der amtlichen Schätzungen privaten Zwecken dient. Dies deshalb, da bei einer amtlichen Schätzung unter anderem auch der Marktwert ermittelt wird, der im Rahmen des privaten Gebrauchs von zentraler Bedeutung ist, wie bei einem geplanten Kauf oder Verkauf einer Liegenschaft. Der Marktwert ist jener geschätzte Betrag, für welchen ein Immobilienvermögen am Tag der Bewertung zwischen einem Veräusserer und einem Erwerber in einer Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ausgetauscht werden sollte.
6Der eigentlich zentrale Wert einer amtlichen Schätzung - der amtliche Schätzungswert
7 - tritt in diesen Fällen in den Hintergrund. Für das Land und die Gemeinden ist der amtliche Schätzungswert hingegen massgeblich, da er für Kontinuität von Preisniveau und Praxis steht und es sich um einen neutralen und unabhängigen Wert handelt. Insbesondere für die öffentliche Hand ist das Abstellen auf den amtlichen Schätzungswert seit Jahren ein geeigneter Indikator, um die Bürgerinnen und Bürger stets gleich zu behandeln und einen Vergleich der Schätzungswerte über viele Jahre hinweg zu ermöglichen. Es zeigt sich daher die deutlich grössere -
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Bedeutung einer amtlichen Schätzung für die öffentliche Hand im Vergleich zu einer amtlichen Schätzung für Privatpersonen.
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1 | Gesetz vom 31. August 2016 über die amtliche Schätzung von Grundstücken und Gebäuden (Schätzungsgesetz; SchätzG; LGBl. 2016 Nr. 353), welches am 01.01.2017 in Kraft getreten ist. |
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2 | Vgl. Art. 16 Abs. 1 und 2 SchätzG. |
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3 | Vgl. Bericht und Antrag Nr. 43/2016 betreffend die Abänderung des Sachenrechts und weiterer Gesetze sowie die Schaffung des Gesetzes über die amtliche Schätzung von Grundstücken und Gebäuden, S. 14. |
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4 | Vgl. Art. 5 SchätzG. |
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5 | Vgl. Bericht und Antrag Nr. 43/2016, S. 211. |
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6 | Vgl. Art. 6 Verordnung über die amtliche Schätzung von Grundstücken und Gebäuden (Schätzungsverordnung; SchätzV); LGBl. 2016 Nr. 427. |
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7 | Wert, der auf der Grundlage von Neuwert, Minderwert, Zeitwert, Landwert, Realwert und Ertragswert ermittelt wird (Art. 4 Abs. 4 SchätzG). |
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