Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Genehmigung eines Ergänzungskredits und eines Nachtragskredits für die Staatenbeschwerde des Fürstentums Liechtenstein gegen die Tschechische Republik beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
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Am 19. August 2020 reichte Liechtenstein eine Staatenbeschwerde gegen die Tschechische Republik beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ein. Hintergrund der Staatenbeschwerde bilden die nach wie vor offenen vermögensrechtlichen Fragen mit der Tschechischen Republik. Sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen, eine vertragliche Lösung der offenen Fragen zu erreichen, sind bisher erfolglos geblieben. Die Regierung erachtete daher eine Staatenbeschwerde als geeignetes Instrument, um sich für die Interessen der von den Entrechtungen und Vermögensverlusten betroffenen liechtensteinischen Staatsangehörigen einzusetzen und den Respekt für die die elementaren Grundrechte dieser Staatsangehörigen und die Souveränität einzufordern.
Nunmehr muss ein Ergänzungskredit für das Verfahren der Staatenbeschwerde vor dem EGMR beantragt werden. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Phase der schriftlichen Eingaben durch beide Seiten mehr Zeit in Anspruch nahm als erwartet. Zudem waren die bisherigen Eingaben der Tschechischen Republik deutlich umfangreicher als angenommen und enthielten neben rechtlichen Argumenten auch lange historische Ausführungen, die teils selektiver oder spekulativer Natur waren. Nicht nur die rechtlichen Argumente der Tschechischen Republik mussten entkräftet werden, sondern auch die historischen Ausführungen richtigstellt werden. Die richtige historische Einordnung der Staatenbeschwerde ist deshalb zentral, weil die Tschechische Republik versucht, den Fall zu einem rein historischen Fall zu machen, und sie auf dieser Basis die Zuständigkeit des EGMR bestreitet. Dafür wurde auf unabhängige historische Expertise abgestellt, was zu zeitlichen und finanziellen Mehrkosten führte. Diese sind zwar von den vorhandenen finanziellen Mitteln gedeckt, wirken sich nunmehr aber nachteilig auf die Möglichkeit der Finanzierung der weiteren Verfahrensschritte aus.
Abgesehen von der Tatsache, dass sich die erste Phase des Verfahrens deutlich zeit- und arbeitsintensiver als erwartet gestaltete, entstanden Mehrkosten u.a. auch durch langwierige Besprechungen mit der Tschechischen Republik zu Fragen im Zusammenhang mit Anhängen sowie durch umfangreiche Erhebungen zum Schaden, welche vom EGMR gefordert wurden und den Beizug eines auf Grundstücksschätzungen spezialisierten Unternehmens erforderlich machten. All dies führte dazu, dass für das Verfahren der Staatenbeschwerde vor dem EGMR zusätzliche Kosten
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entstanden, welche zum Zeitpunkt der Beantragung des ursprünglichen Verpflichtungskredites nicht absehbar waren. Folglich reichen die mit dem Verpflichtungskredit (BuA 2020 Nr. 91) im September 2020 gesprochenen finanziellen Mittel nicht bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem EGMR aus.
Um die Kosten des weiteren Verfahrens zu beziffern, hat das von der Regierung mit der Verfahrensführung beauftragte Rechtsteam die denkbaren Verfahrensszenarien zusammengestellt, welche bei der Bestimmung der finanziellen Mittel, die für die professionelle Fortführung des Verfahrens notwendig sind, berücksichtigt werden müssen. Dabei ist zu beachten, dass der weitere Verlauf des Verfahrens nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden kann.
Die einzelnen Szenarien unterscheiden sich, was die Dauer und den Arbeits- und Kostenaufwand angeht, beträchtlich. Gemäss Einschätzung des Rechtsteams kann das Verfahren vor dem EGMR noch zwischen eineinhalb und sechs Jahren dauern.
Um das Verfahren der Staatenbeschwerde folglich ordentlich weiterführen und abschliessen zu können, beantragt die Regierung beim Landtag einen Ergänzungskredit in Höhe von 1 985 000 Franken. Nur so kann die Regierung zum Ausdruck bringen, dass sie den fehlenden Respekt für die liechtensteinische Souveränität nicht toleriert und dass sie insbesondere die Rechtsbrüche tschechischer Behörden und Gerichte gegenüber liechtensteinischen Staatsangehörigen nicht toleriert. Der beantragte Ergänzungskredit ist so berechnet, dass die zusätzlichen finanziellen Mittel für die Bestreitung des Verfahrens ausreichen, unabhängig davon, welches Verfahrensszenario tatsächlich eintritt. Dabei sind auch Kosten allfälliger Verhandlungen über eine gütliche Einigung inkludiert. Basis für die Berechnung bilden eine detaillierte Kostenschätzung des Rechtsteams sowie die im Verfahren bisher gemachten Erfahrungen.
Für das Jahr 2023 wird zudem ein Nachtragskredit in der Höhe von 374 000 Franken beantragt. Ein Nachtragskredit ist deshalb erforderlich, weil die für das Jahr 2023 budgetierten Mittel in der Höhe von 376 000 Franken nicht bis zum Jahresende ausreichen werden.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Äusseres, Bildung und Sport
Betroffene Stellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Ständige Vertretung des Fürstentums Liechtenstein beim Europarat
Liechtensteinische Botschaft in der Tschechischen Republik mit Sitz in Wien
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Vaduz, 31. Januar 2023
LNR 2023-43
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Genehmigung eines Ergänzungskredits und eines Nachtragskredits für die Staatenbeschwerde des Fürstentums Liechtenstein gegen die Tschechische Republik beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu unterbreiten.
Am 19. August 2020 reichte Liechtenstein eine Staatenbeschwerde gegen die Tschechische Republik beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (nachfolgend EGMR oder Gerichtshof) in Strassburg ein. Hintergrund der Staatenbeschwerde bilden die offenen vermögensrechtlichen Fragen mit der Tschechischen Republik. Von insgesamt mindestens 39 liechtensteinischen Staatsangehörigen wurden Vermögenswerte titellos unter die physische Kontrolle des tschechoslowakischen Staates gebracht, welches Vorgehen die Tschechische Republik nun in
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aktuellen innerstaatlichen Gerichtsverfahren zu legitimieren versucht, womit für die Betroffenen nun auch deren Eigentumsrechte aufgehoben würden. . Die von tschechischer Seite ergriffenen Massnahmen beruhen unter anderem auf der falschen Qualifizierung liechtensteinischer Staatsangehöriger als Personen deutscher Nationalität. Bis heute werden mit dieser Argumentation liechtensteinischen Staatsangehörigen durch tschechische Behörden und Gerichte Eigentumsrechte vorenthalten bzw. entzogen. In einem Urteil vom 20. Februar 2020 stützte das tschechische Verfassungsgericht diese inakzeptable Vorgehensweise. Die fortbestehende Praxis verletzt systematisch elementare Grundrechte der betroffenen liechtensteinischen Staatsangehörigen und zeigt auch eine offensichtliche Missachtung der Souveränität Liechtensteins und verletzt elementare Grundrechte der betroffenen liechtensteinischen Staatsangehörigen.
Sämtliche politischen und diplomatischen Bemühungen, eine vertragliche Lösung der offenen Fragen zu erreichen, blieben erfolglos, womit die Anrufung eines internationalen Gerichts (des EGMR) einen konsequenten Schritt darstellte.
Nach wie vor behandelt die tschechische Regierung Liechtenstein nicht in derselben Weise wie andere Staaten. Mit anderen Staaten, darunter die Schweiz und Österreich, einigte sich bereits die damalige Tschechoslowakei auf eine vertragliche Lösung zu vermögensrechtlichen Fragen. Aufgrund der bislang fehlenden Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft Tschechiens erachtete die Regierung die Staatenbeschwerde als geeignetes Instrument, um sich für die Interessen der betroffenen liechtensteinischen Staatsangehörigen einzusetzen und den Respekt für die Souveränität und die elementaren Grundrechte der Staatsangehörigen einzufordern. Weiterhin erachtet die Regierung eine Verhandlungslösung zu den offenen Fragen als möglichen Weg.
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Detaillierte Ausführungen zu den Beweggründen für die Einreichung der Staatenbeschwerde können dem Bericht und Antrag betreffend den Verpflichtungskredit für die Staatenbeschwerde (Nr. 2020/91) entnommen werden.