Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2020 / 101
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Begrün­dung der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bes­tim­mungen unter Berück­sich­ti­gung der Vernehmlassung
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
7.Aus­wir­kungen auf Ver­wal­tungstä­tig­keit und Ressourceneinsatz
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lage
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend  die Umsetzung des EuGH-Urteil C-236/09 (Test-Achats Urteil) sowie die Abänderung des Gesetzes über die Gleichstellung von Mann und Frau (Gleichstellungsgesetz, GLG)
 
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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte mit seinem sogenannten "Test-Achats"-Urteil vom 1. März 2011 Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG, welcher eine Ausnahme vom Verbot der Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen vorsah, für ungültig.
Nun soll das Test-Achats Urteil in das EWR-Abkommen übernommen und Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG soll aufgehoben werden. Dementsprechend muss auch die Ausnahmebestimmung in Art. 4a Abs. 5 Bst. c des Gleichstellungsgesetzes (GLG) aufgehoben werden, was Gegenstand dieser Vorlage ist.
Die Liechtensteinischen und Schweizer Versicherungsunternehmer wurden entsprechend informiert und in den Prozess miteinbezogen.
Grundsätzlich sind von der Umstellung auf Unisex-Tarife alle Versicherungsprodukte betroffen, bei denen bei der Tarifierung zwischen Mann und Frau unterschieden wird. In erster Linie sind dies die Motorfahrzeug-Haftpflicht- und die Lebensversicherung.
Das Gesetz über die Abänderung des Gleichstellungsgesetzes soll am 1. Januar 2022 in Kraft treten, sodass den Versicherungsunternehmen genügend Anpassungszeit verbleibt. Auf vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes abgeschlossene Versicherungsverträge findet grundsätzlich das bisherige Recht Anwendung. Vereinbaren die Parteien jedoch vertraglich die Verlängerung eines solchen Versicherungsvertrags, so findet das neue Recht Anwendung.
Zuständige Ministerien
Ministerium für Gesellschaft (federführend)
Ministerium für Präsidiales und Finanzen
Betroffene Stellen
Finanzmarktaufsicht
Amt für Soziale Dienste
Stabsstelle EWR
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Vaduz, 29. September 2020
LNR 2020-1399
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Umsetzung des EuGH-Urteil C-236/09 (Test-Achats-Urteil) sowie die Abänderung des Gesetzes über die Gleichstellung von Mann und Frau (Gleichstellungsgesetz, GLG) an den Landtag zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Die Richtlinie 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (im Folgenden "die Richtlinie 2004/113/EG")1 gibt einen Rahmen vor für die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Diskriminierungen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, insbesondere im Bereich Versicherungen. Ziel ist es, die effektive Anwendung des Grundsatzes -
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der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Richtlinie 2004/113/EG statuiert unter anderem die geschlechtsneutrale Festlegung der Prämien- und Leistungen von Versicherungsunternehmen.
Art. 5 der Richtlinie 2004/113/EG verbietet die Verwendung geschlechtsspezifischer versicherungsmathematischer Faktoren im Versicherungswesen und bei verwandten Finanzdienstleistungen (Unisex-Regel). Eine Ausnahmeregelung hiervon war im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG zulässig (siehe unten).2
Mit Beschluss Nr. 147/2009 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses vom 4. Dezember 2009 wurde die Richtlinie 2004/113/EG ins EWR-Abkommen übernommen. Die Umsetzung in Liechtenstein erfolgte durch eine Abänderung des Gleichstellungsgesetzes (GLG).3 Die Ausnahme von der Unisex-Regel in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG wurde wortidentisch in Art. 4a Abs. 5 Bst. c GLG aufgenommen. Die Umsetzung trat am 8. Juni 2011 in Kraft.4
Mit Urteil vom 1. März 2011 (EuGH Urteil C-236/09, im Folgenden: "Test-Achats Urteil") erklärte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG, welcher eine Ausnahme vom Verbot der Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei der Berechnung von Prämien und Leistungen vorsah, für ungültig. Die Unisex-Regel ist daher in der EU seit dem 21. Dezember 2012 ohne Ausnahme in Bezug auf die Berechnung von Prämien und Leistungen in neuen Verträgen anzuwenden.
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Alle EU-Staaten haben das Test-Achats Urteil bereits in nationales Recht umgesetzt. Obwohl die Rechtsprechung des EuGH in den EWR/EFTA-Staaten nicht unmittelbar anwendbar ist und obwohl das EWR-Abkommen nicht angepasst wurde, haben auch Norwegen und Island das Urteil bereits umgesetzt und die Unisex-Regel eingeführt.
Das Test-Achats Urteil betrifft nur private, freiwillige und von Beschäftigungsverhältnissen unabhängige Versicherungen und Rentensysteme. Es hat keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf Betriebsrenten5.
In Liechtenstein wurde das Urteil bisher nicht umgesetzt. Die Umsetzung des Test-Achats Urteils würde hauptsächlich die KFZ-Haftpflichtversicherung sowie Lebensversicherungen betreffen (vgl. dazu 3.1.1 und 3.1.2), wobei auch andere Versicherungszweige betroffen sind, bei welchen bei der Tarifierung des Versicherungsproduktes zwischen Mann und Frau unterschieden wird.
Die liechtensteinischen Versicherungsunternehmen bieten hauptsächlich grenzüberschreitende Versicherungsleistungen im EWR-Raum an. Sie müssen aufgrund dieser hauptsächlichen Tätigkeit im EWR bereits jetzt für die grenzüberschreitende Tätigkeit im EWR Unisex-Tarife anbieten. Die Vorlage betrifft somit die in Liechtenstein vertriebenen Versicherungsverträge.
Nach langen Verhandlungen mit der EFTA-Überwachungsbehörde (ESA) und in Absprache mit den in Liechtenstein aktiven Versicherungsunternehmen und den zuständigen Ministerien und Amtsstellen, soll das Test-Achats Urteil nun in das EWR-Abkommen übernommen werden und die Ausnahmebestimmung in Art. 5 Abs. 2
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der Richtlinie 2004/113/EG aufgehoben werden. Nunmehr soll auch das nationale Recht angepasst und die verpflichtende Unisex-Regelung eingeführt werden.



 
1Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen; ABl. Nr. L 373 vom 21.12.2004, S. 37.
 
2BuA Nr. 2010/132, Seite 38.
 
3LGBl. 1999 Nr. 96.
 
4LGBl. 2011 Nr. 212; Bericht und Antrag Nr. 2010/132.
 
5siehe auch die Leitlinien zur Anwendung der Richtlinie 2004/113/EG des Rates auf das Versicherungswesen im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-236/09 (Test-Achats), 2012/C 11/01, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1540196672550&uri=CELEX:52012XC0113(01)
 
LR-Systematik
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105
LGBl-Nummern
2021 / 257
Landtagssitzungen
06. November 2020
Stichwörter
Test-Achats-Urteil
Abän­de­rung des Gleichs­tel­lungs­ge­setz (GLG)
Auf­he­bung Aus­nah­me­bes­tim­mung in Art. 4a Abs. 5 Bst. c GLG
EuGH-Urteil C-236/09
Unisex-Tarife
Ver­si­che­rung: Prä­mien und Lei­stungen abhängig vom Geschlecht