Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2010 / 112
Zurück Druckansicht Dokument als PDF Navigation anzeigen
Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Anlass / Not­wen­dig­keit der Vor­lage / Begrün­dung der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bes­tim­mungen unter Berück­sich­ti­gung der Vernehmlassung
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
7.Per­so­nelle, finan­zi­elle, orga­ni­sa­to­ri­sche und räum­liche Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lagen
1.1Abän­de­rung StGB
1.2Abän­de­rung StPO
1.3Abän­de­rung des Gesetzes vom 2. Juli 1974 über das Straf­re­gister und die Til­gung gericht­li­cher Verurteilungen
1.4Abän­de­rung des Strafvollzugsgesetzes
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Gesetzes vom 2. Juli 1974 über das Strafregister und die Tilgung gerichtlicher Verurteilungen sowie des Strafvollzugsgesetzes 
 
5
Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder erfordert vielerlei Anstrengungen und ist daher auch eine zentrale Aufgabe des Strafrechts.
Mit der gegenständlichen Vorlage wird der materiell-rechtliche Opferschutz ausgeweitet. Damit soll gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere dem gestiegenen Respekt vor der Persönlichkeit des Menschen und seinem Recht auf Selbstbestimmung, Rechnung getragen werden.
In den Fällen
der gefährlichen Drohung gegen nahe Angehörige,
der beharrlichen Verfolgung,
der Begehung von Vergewaltigungen oder sexuellen Nötigungen in Ehe oder Lebensgemeinschaft sowie
der Nötigung zur Eheschliessung
soll keine Zustimmung des Opfers zur Strafverfolgung des Täters mehr erforderlich sein. Opfer derartiger Straftaten ziehen ihre Einwilligung erfahrungsgemäss oftmals nicht aus eigenen Motiven zurück. Durch die Aufhebung des erwähnten Zustimmungserfordernisses des Opfers wird die Strafverfolgung von Amtes wegen einsetzen. Damit soll den Tatbetroffenen der zumindest latent durch das Zustimmungserfordernis vorhandene Druck genommen werden.
Dem verstärkten Schutz von Opfern von Gewalt entspricht auch die ausdrückliche Verankerung der Strafbarkeit weiblicher Genitalverstümmelung. Es wird bestimmt, dass in diese Form der Körperverletzung nicht eingewilligt werden kann. Gleichzeitig soll die Verjährungsfrist im Falle derartiger Eingriffe in die körperliche Integrität sowie generell bei strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und anderen sexualbezogenen Delikten nach dem Zehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches durch Nichteinrechnung der Zeit bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Opfers verlängert werden. Der Entscheidungsfreiheit, derartige Straftaten durch Erstattung einer Anzeige einer strafgerichtlichen Verfolgung zuzuführen, wird dadurch mehr Bedeutung zukommen.
6
Ferner führt die gegenständliche Vorlage die Reform des Sexualstrafrechts durch die Einführung neuer bzw. den Ausbau bestehender Straftatbestände fort. Als Beispiele seien die Verankerung der Strafbarkeit der Anbahnung von Sexualkontakten mit Kindern mit Hilfe von Informations- oder Kommunikationstechnologien oder die umfassende Kriminalisierung von Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Kinderpornographie angeführt.
Dabei soll nicht nur ein repressiver Ansatz verfolgt, sondern besonderes Augenmerk auf die Prävention gelegt werden. Aus diesem Grund wird ein Paket von Massnahmen vorgeschlagen, das eine intensivere Kontrolle von bereits verurteilten Sexualdelinquenten sicherstellt. So soll etwa durch die Möglichkeit von Bewährungsaufsicht und der Erteilung von Weisungen im Falle bedingter Entlassungen aus dem Strafvollzug, aber auch durch Verhängung eines Tätigkeitsverbotes durch das Gericht als vorbeugende Massnahme einer neuerlichen Straffälligkeit des Täters entgegengesteuert werden.
Durch entsprechende Änderungen des Gesetzes vom 2. Juli 1974 über das Strafregister und die Tilgung gerichtlicher Verurteilungen wird eine Verlängerung der Tilgungsfrist für Sexualstraftäter angeordnet und in Fällen von schweren Sexualstraftaten eine Tilgung ausgeschlossen.
Zuständiges Ressort
Ressort Justiz
Betroffene Amtsstellen
Landgericht, Obergericht, Oberster Gerichtshof, Staatsanwaltschaft, Landespolizei, Bewährungshilfestelle, Amt für Soziale Dienste (Kinder- und Jugendhilfe)
7
Vaduz, 19. Oktober 2010
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Gesetzes vom 2. Juli 1974 über das Strafregister und die Tilgung gerichtlicher Verurteilungen sowie des Strafvollzugsgesetzes an den Landtag zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Das wesentliche Anliegen dieser Vorlage besteht darin, das liechtensteinische (materielle) Strafrecht an internationale Vorgaben und gleichzeitig an neue gesellschaftliche Realitäten anzupassen und so den Schutz von Gewaltopfern zu verbessern. Den Staat trifft zur Verhinderung von Gewalt eine besondere Verantwortung, weshalb Opfer auch ein korrespondierendes Recht auf staatliche Schutzmassnahmen haben.
Die vorgeschlagenen Massnahmen orientieren sich primär an den Rechten von Kindern als Opfer, insbesondere dem Recht auf Achtung der Würde und Gewähr-
8
leistung der Sicherheit vor (weiterer) Gewalt, dem Recht auf eine gerechte Sanktion und auf Schadenersatz (Art. 13 EMRK) sowie dem Recht auf Gesundheit (Art. 24 UN-Kinderrechtskonvention1). Bei allen Überlegungen zur Weiterentwicklung des Strafrechts in diesem Bereich muss stets das Wohl des Kindes vorrangige Berücksichtigung finden (Art. 3 UN-Kinderrechtskonvention). Insbesondere im Falle von Kindesmisshandlungen und sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen müssen Massnahmen gesetzt werden, um das Recht von Kindern auf staatlichen Schutz zu stärken.
Mit dieser Vorlage sollen daher wirksame Massnahmen zur Verbesserung des Schutzes - insbesondere von Kindern - vor Gewalt sowie staatliche Hilfestellung für Opfer von Straftaten festgelegt werden.
Ziel dieser Vorlage ist es daher auch, die rechtlichen Grundlagen für die Ratifizierung der folgenden von Liechtenstein bereits unterzeichneten Abkommen zu schaffen: Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch2, Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität3 sowie Fakultativprotokolls zum UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie4. Geprüft wurden auch allfällige Anpassungen zwecks baldiger Unterzeichnung und Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats gegen Menschenhandel5.
Aber nicht nur in Bezug auf Kinder, sondern auch bezogen auf Frauen stellt die Bekämpfung von Gewalt - sei es allgemein, sei es in der Familie oder sonst im
9
sozialen Nahraum - sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ein zentrales Thema dar. Neben der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen6 hat es sich insbesondere auch die im Jahr 2006 vom Europarat gestartete Kampagne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, einschliesslich häuslicher Gewalt, zum Ziel gesetzt, aufzuzeigen, dass es sich bei derartigen Übergriffen um schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen handelt und die einzelnen Mitgliedstaaten aufgerufen sind, entsprechende Vorkehrungen zum Schutz vor Gewalt zu treffen.
Liechtenstein will seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen und glaubwürdig durch die Schaffung effizienter Massnahmen gegen alle Erscheinungsformen von - insbesondere gegen Frauen und Kinder gerichteter - Gewalt vorgehen.
Zu diesem Zweck orientiert sich die gegenständliche Vorlage an den in Österreich im Zuge der letzten Novellen des Strafgesetzbuches, insbesondere durch die Strafrechtsänderungsgesetze 20047, 20068 sowie durch das Zweite Gewaltschutzgesetz9, in Kraft getretenen Neuerungen, die sich ersten Erfahrungen zufolge bewährt haben.



 
1Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989; LGBl.1996 Nr. 163.
 
2http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Word/201.doc; ETS Nr. 201.
 
3http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Word/185.doc; ETS Nr. 185.
 
4http://www.national-coalition.de/pdf/5-2-0-Zusatzprotokoll_Kinderprostitution.pdf.
 
5http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Word/197.doc; ETS Nr. 197.
 
6Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, CEDAW.
 
7BGBl. I Nr. 15/2004.
 
8BGBl. I Nr. 56/2006.
 
9BGBl. I Nr. 40/2009.
 
LR-Systematik
3
31
311
3
31
312
3
33
3
34
LGBl-Nummern
2011 / 187
2011 / 186
2011 / 185
2011 / 184
Landtagssitzungen
26. November 2010
Stichwörter
Gewalt gegen Frauen und Kinder
Infor­ma­tions- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logie, Anbah­nung von Sexualkontakten
Internet und sexu­elle Belästigung
Kin­derpor­no­gra­phie, Strafbarkeit
Opfer­schutz im Strafverfahren
Sexual­straf­recht, Reform
Sexual­straf­täter, Ver­stär­kung der Prä­ven­tion und Repression
Stal­king
StGB, Reform des Sexualstrafrechts
StPO, Reform des Sexualstrafrechts
Straf­ge­setz­buch, Reform des Sexualstrafrechts
Straf­pro­zess­ord­nung, Reform des Sexualstrafrechts
Straf­re­gister und Reform des Sexualstrafrechts
Straf­re­gister, Ver­län­ge­rung der Til­gungs­frist für Sexualstraftäter
Straf­vollzug, inten­si­vere Kon­trolle von Sexualdeliquenten