Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2015 / 112
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Anlass / Not­wen­dig­keit der Vor­lage / Begrün­dung der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bes­tim­mungen unter Berück­sich­tun­gung der Vernehmlassung
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
7.Per­so­nelle, finan­zi­elle, orga­ni­sa­to­ri­sche und räum­liche Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lagen
1.Gesetz über die Abän­de­rung der Zivilprozessordnung
2.Gesetz über die Abän­de­rung der Strafprozessordnung
3.Gesetz über die Abän­de­rung des Rechtsanwaltsgesetzes
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Reform des Verfahrenshilferechts
(Teil 1: Juristische Personen; Tarif in Verfahrenshilfesachen)
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In den letzten Jahren haben sich die Kosten der Verfahrenshilfe wesentlich erhöht, was u.a. auf einen starken Anstieg von Verfahrenshilfefällen zurückzuführen ist. Darüber hinaus hat der Staatsgerichtshof (StGH) entschieden, dass es gegen die Verfassung und Europäische Menschenrechtskonvention verstösst, wenn juristische Personen in Liechtenstein ganz generell und ausnahmslos von der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Verfahrenshilfe ausgeschlossen werden. Dies bedingt ein Tätigwerden des Gesetzgebers.
Grundsätzlich ist an dem Rechtsinstitut der Verfahrenshilfe festzuhalten, da dies einem modernen und sozialen Staat, der die finanziell schwächer gestellten Personen in ihrer Rechtsverfolgung entsprechend unterstützen soll, entspricht. Diese Ansicht deckt sich auch mit den Rückmeldungen aus der Vernehmlassung.
Nachdem im Rahmen der Vernehmlassung äusserst vielfältige und sehr umfangreiche Stellungnahmen eingereicht wurden, welche eine grundlegende Auseinandersetzung mit den im Vernehmlassungsbericht vorgeschlagenen Gesetzesänderungen notwendig machen, hat sich die Regierung nunmehr dazu entschlossen, in einem ersten Schritt die Kosten der Verfahrenshilfe durch entsprechende Anpassungen im Rechtsanwaltstarif für Verfahrenshilfeangelegenheiten zu senken und die Verfahrenshilfe für juristische Personen einzuführen. Dieser erste Schritt wird mit gegenständlichem Bericht und Antrag vollzogen.
Diese (schrittweise) Vorgehensweise ist vor allem deshalb notwendig, da der StGH im oben erwähnten Urteil (StGH 2014/61) für die Rechtswirksamkeit eine Frist von einem Jahr ab Kundmachung festgesetzt hat, welche bereits am 2. Dezember 2015 ausläuft. Somit ist bis Ende Jahr 2015 eine Bestimmung für die Verfahrenshilfe juristischer Personen zu schaffen. Damit ein weiteres Hauptziel der Reform, nämlich die Kostensenkung, gleichzeitig weiterverfolgt werden kann, werden entsprechende Bestimmungen zur Tarifsenkung im Rechtsanwaltsgesetz geschaffen.
Darüber hinausgehende Neuerungen und Gesetzesänderungen und insbesondere flankierende Massnahmen werden sodann - nach nunmehr neuerlich notwendig gewordenen Beratungen im Rahmen der Arbeitsgruppe - im ersten Quartal 2016
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in einem zweiten Bericht und Antrag zur Reform der Verfahrenshilfe präsentiert werden.
Da bezüglich des Urteils des Staatsgerichtshofs bereits auf den 2. Dezember 2015 gesetzgeberischer Handlungsbedarf gegeben ist, beantragt die Regierung die abschliessende Behandlung dieser Vorlagen durch den Landtag.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Stellen
Landgericht
Obergericht
Oberster Gerichtshof
Verwaltungsgerichtshof
Staatsgerichtshof
Staatsanwaltschaft
Liechtensteinische Rechtsanwaltskammer
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Vaduz, 29. September 2015
LNR 2015-1248
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die (Teil-)Reform des Verfahrenshilferechts zu unterbreiten.
1.1Allgemeines
Die Einführung des Rechtsinstituts der Verfahrenshilfe im Rahmen der Zivilprozessordnung (ZPO1) im Jahre 19942 wurde als soziale Errungenschaft eingestuft, da dadurch der Zugang zum Recht auch jenen Bevölkerungskreisen garantiert wurde, die aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögenssituation ausserstande sind, die Kosten ihrer Prozessführung zu tragen. Durch die Reform im Jahre 1994 wurde die bis dahin in der ZPO geltende und sehr restriktive Institution des Armenrechts durch die neue und sozialer ausgestaltete Institution der Verfahrenshilfe nach österreichischem Vorbild abgelöst. Dabei wurden vor allem der Kreis -
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der berechtigten Personen und der Katalog der Begünstigungen beträchtlich erweitert und somit sozialer und praktikabler ausgestaltet.
Die Verfahrenshilfe in Liechtenstein ist - ebenso wie in Österreich - im 7. Titel der ZPO in den §§ 63 ff. normiert und wurde - der grundsätzlichen Tradition Liechtensteins auf dem Gebiet des Prozessrechts folgend - nahezu wortgleich aus Österreich rezipiert. Die letzte liechtensteinische Reform betreffend das Verfahrenshilferecht wurde im Jahr 2009 durchgeführt. Im Rahmen dieser Reform wurde eine Streitwertbegrenzung nach oben ("Streitwertdeckelung" auf CHF 500.000,--) eingeführt, welche die absolute Obergrenze der zur Abrechnung massgeblichen Bemessungsgrundlage darstellt. Zudem wurde eine Streitwert-pauschalierung bzw. eine Streitwert-Obergrenze in Höhe von CHF 50.000,-- für die Abrechnung von Verfahrenshilfefällen in Ehescheidungs- und Trennungsfällen festgelegt. Gleichzeitig wurde schliesslich die Abgeltung der Entlohnung der Amtsverteidiger neu geregelt, womit bestehende Unsicherheiten in diesem Bereich beseitigt und bindende Regelungen festgelegt wurden.3
Das Rechtsinstitut der Verfahrenshilfe selbst ist nach wie vor unbestritten und die Abschaffung derselben steht - auch nach der durchgeführten Vernehmlassung - nicht zur Diskussion.
Es ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die gegenständliche Reform nur teilweise auf der österreichischen Rezeptionsgrundlage basiert. In Österreich sind aktuell keine diesbezüglichen Reformschritte geplant. Die Entlohnung der Verfahrenshelfer in Österreich erfolgt durch eine (deutlich reduzierte) Pauschalvergü-
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tung des Bundes an den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag4, in Liechtenstein können die Verfahrenshelfer ihre Kosten nach dem geltenden, jedoch reduzierten, Tarif abrechnen.5
In der Schweiz ist die Verfahrenshilfe unter dem Begriff "unentgeltliche Rechtspflege" nur teilweise bundesrechtlich geregelt, nämlich nur in Bezug auf die Voraussetzungen und den Umfang sowie das Verfahren. Nicht vereinheitlicht sind insbesondere die Tarife, Ansätze und Kosten. Diese fallen in die Zuständigkeit der Kantone in Bezug auf die Gerichtsorganisation und insbesondere auch auf die Gerichtskosten und Kostentarife. Die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege entstehen in diesem System somit bei den Kantonen. Vor diesem Hintergrund erfolgt auch die Entlohnung der Rechtsanwälte als unentgeltliche Rechtsbeistände je nach Kanton grundsätzlich unterschiedlich. Art. 122 chZPO6 legt lediglich fest, dass die Rechtsbeistände vom Kanton angemessen entschädigt werden, es sei denn, die Entschädigung erfolgt über die Parteientschädigung der Gegenseite zufolge deren Unterliegens. Dabei kommen recht unterschiedliche Systeme zur Anwendung, wobei die Ansätze dabei gegenüber den normalen Rechtsanwaltstarifen aber immer gekürzt werden. So gilt beispielsweise im Kanton Solothurn - wie in den meisten Kantonen - ein reduzierter Stundensatz von CHF 180,-- zzgl. MwSt., im Kanton Zürich ein Stundensatz in Höhe von CHF 200,--, soweit ein Stundenhonorar zur Anwendung gelangt. Im Kanton St. Gallen wurde über Nachfrage mitgeteilt, dass das Honorar bei unentgeltlicher Prozessführung oder amtlicher Verteidigung grundsätzlich um ein Fünftel herabgesetzt wird7.
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Das Schweizer Bundesgericht hat mit Urteil vom 2. März 2015 zu 6B_730/20148 entschieden, dass das Honorar für amtliche Mandate verglichen mit jenem für private Mandate tiefer angesetzt werden könne. Die zulässige Grenze werde erst dann unterschritten, wenn die Entschädigung die Selbstkosten des Pflichtverteidigers nicht zu decken und einen bescheidenen Verdienst nicht zu gewährleisten vermöge. Im Sinne einer Faustregel gelte, dass sich ein amtlicher Anwalt im Schweizer Durchschnitt mit rund CHF 180,-- pro Stunde begnügen müsse. Das Schweizer Bundesgericht hat diese Grundsätze in gegenständlicher neuen Entscheidung bekräftigt und weiter festgehalten, dass der Kanton das Honorar grundsätzlich auch als Pauschale berechnen dürfe, bei dem alle prozessualen Bemühungen des Anwalts zusammengefasst würden und keine Rechnung nach dem effektiven Zeitaufwand erfolge. Dies unter der Bedingung, dass sich das Honorar des Anwalts im Einzelfall nicht ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den von ihm erbrachten Leistungen bewege. Im konkret zu beurteilenden Sachverhalt, bei dem die mit der Entscheidung unzufriedene St. Galler Anwältin in einer Strafsache wegen Körperverletzung und Raufhandel ein Plädoyer von zehn Seiten verfasst und die Gerichtsverhandlung drei Stunden gedauert habe, liege laut Schweizer Bundesgericht kein aussergewöhnlich aufwändiger Fall vor. Die Abgeltung als Pauschale wurde folglich als korrekt angesehen.
Nachdem in den Nachbarstaaten Österreich und Schweiz bereits seit Jahren Systeme eingeführt wurden, um den Kostenersatz in Verfahrenshilfefällen zu begrenzen, werden mit gegenständlicher Vorlage auch für Liechtenstein entsprechende Reduktionen beim Rechtsanwaltstarif im Einvernehmen mit der Rechtsanwaltskammer vorgenommen (siehe dazu im Detail unter Pkt. 3.2 und 5.4).



 
1LGBl. 1912 Nr. 9/1.
 
2LGBl. 1994 Nr. 10.
 
3Siehe Bericht und Antrag der Regierung betreffend die Abänderung des Rechtsanwaltsgesetzes (RAG), BuA Nr. 24/2009.
 
4Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag erhält dabei für die unentgeltliche Verfahrenshilfetätigkeit der Rechtsanwälte (mit Ausnahme der Barauslagen, die den Rechtsanwälte jedenfalls ersetzt werden) vom österreichischen Justizministerium eine jährliche Pauschalvergütung, die der Alters- und Hinterbliebenenvorsorge der Rechtsanwälte dient.
 
5Ballon, Einführung in das österreichische Zivilprozessrecht - Streitiges Verfahren, 10. Auflage, S. 306.
 
6Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008, AS 2010 1739.
 
7Siehe Art. 31 Abs. 3 des Anwaltsgesetzes (AnwG) vom 11.11.1993, sGS 963.70.
 
8NZZ vom 19. März 2015.
 
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Stichwörter
Juris­ti­sche Per­sonen, Verfahrenshilfe
Ver­fah­rens­hilfe für juris­ti­sche Personen
Ver­fah­rens­hilfe, Kostensenkung